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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 98/99
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Polnisch-Lissa überzusiedeln, wo er an der Gemeinde der böhmi-
schen Brüder einen neuen Wirkungskreis fand.
Sein Nachfolger in Lüben sollte sein Freund Abraham
Bucholzer in Sprottau werden. Er lehnte jedoch den Ruf ab und
es entstand eine einjährige Vakanz, bis Anfang November 1571
Stephan Bockshammer von Lobendau das Pfarramt übernahm.
Schon im Frühjahr 1573 kehrte er jedoch nach seiner alten Stelle
zurück, da die zugesagte Aufbesserung seines Gehalts nicht erfolgte.
An seine Stelle trat der 75jährige Sebastian Schubart, der bisher
ein wahres Nomadenleben geführt hatte. Man schreibt ihm die
endgiltige Überwindung des Schwenckfeldertums375) in Lüben
zu. Er soll wöchentlich zweimal Mittwoch und Sonnabend, Kate-
chisation mit dem jungen Volk in der Begräbniskirche, der alten
Allerheiligenkapelle, gehalten haben. Es ist kaum anzunehmen,
daß der hochbetagte Mann eine nennenswerte Tätigkeit in Lüben
entfaltet hat. Spätere Nachrichten lassen durchaus Rosentritt als
erfolgreichen Bekämpfer der Separation erscheinen376). Die letzte
nachweisbare Spur des Schwenckfeldertums in Lüben finden wir
1584, wo von dem Weißgerber Andres Tschepe bemerkt wird, er
habe sich acht Jahre lang infolge "Schwenckfeldischer Phanthaste-
reien" des Abendmahls enthalten.
Der religiös-sittliche Zustand der Gemeinde blieb fortdauernd
unbefriedigend. Die Notizen über den Kirchen- und Abendmahls-
besuch, die christliche Erkenntnis und den sittlichen Wandel, die
Adam Thilo, der Nachfolger Schubarts, mit großer Gewissen-
haftigkeit machte, lassen auf das innere Leben der Gemeindegleider
kein günstiges Licht fallen377). Die gröbste Vernachlässigung der
kirchlichen Pflichten paarte sich bei einem erheblichen Teile der
Parochianen mit krasser Unwissenheit in den Elementen des
evangelischen Bekenntnisses und mit ausgesprochener Neigung
zum Trunk und Lebensgenuß. Fast stereotyp bemerkt Thilo von
den Vätern, welche die Taufe der Kinder nachsuchten: "ist seit
Jahren oder niemals im ganzen Leben zum Tisch des Herrn
gekommen". Desto häufiger kann er aber notieren: "besucht die
Kneipen", "ist ein wahrer bibulus" (Trinker). Von einzelnen
muß er konstatieren, daß sie nicht einmal das Vaterunser kennen.
Resigniert erklärt er gelegentlich: "Das bleibt immer in der alten
Weise, gehet zu Bier täglich, selten zur Kirche, nimmer zum
Abendmahl". Zu manchen Zeiten mag die Zügellosigkeit in groben
Exzessen sich geäußert haben. Von der Fastnacht des Jahres 1583

375 Ehrhardt Seite 157.
376 Z. B. das schon genannte Memorial aus dem Pfarrarchiv.
377 Einzelne Stichproben seien angeführt: 'non abstinet a tabernis'
- 'non vitat tabernas communi more' - 'potationibus indulgens
et ebrietati' - 'homo bibulus ac in tabernis' - 'Imperitiam in
christianismo non parem animadverti' - 'nescit capita catechismi
non excerpta orationis Domini' - 'potationibus et sodaliciis indulget'.
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sagt Thilo, es sei "die wilde Fastnacht" gewesen, dem Jahre 1588
gibt er die Überschrift: "Das vielbesprochene Jahr der letzten
bösen Zeit". Er registriert auch die frivole Äußerung eines
Tuchmachers: 'Die Pfaffen weren wie die Thiriakskremer, ein
jeder schrie seine Wahr vor die beste aus". - Roheitsverbrechen
mehrten sich; des öfteren wird ein Gemeindemitglied als "Mörder"
bezeichnet; Mordtaten werden auch in dem 1606 beginnenden
Totenregister mehrfach verzeichnet. So klingt das Reformations-
jahrhundert nicht eben verheißungsvoll aus.
In der zweiten Hälfte des XVI. Jahrhunderts wurde das
Lübener Kirchenwesen auch in seiner äußeren Form nach evange-
lischen Grundsätzen reguliert. Noch 1567 wurde über die Ein-
künfte der verschiedenen Altarstiftungen Buch geführt378), z. B.
für die Lade St. Katharina, St. Barbara, Aurora, Sebastian,
omnium Sanctorum, der Bruderschaft beatae virginis etc. Ver-
mutlich flossen alle diese Bezüge später in die Kirchkasse, wenn
sie nicht von der Stadt eingezogen wurden. Nicht bloß der
Landesherr legte damals seine Hand auf den kirchlichen Besitz; auch
die Stadt folgte dem von oben her gegebenen Vorbilde. Sie
annektierte - wahrscheinlich 1567 - das dem Heiligengeist-
Hospital gehörige Kreuzvorwerk379) und entschädigte dafür das
Hospital mit einem jährlichen Beitrage von 30 Mark, während
das Barbaraspital 10 Mark erhielt. Anscheinend hatte man auch
dessen Besitz eingezogen. Friedrich IV. verkaufte am 17. August
1587 das alte Kirchhöflein von St. Barbara an Franz Pahren für
50 rtl.380). Die Schloßkirche, die Barbara- und Nikolauskapelle
standen unbenutzt und verfielen; die Allerheiligenkapelle fand als
Begräbniskirche Verwendung.
Die Pfarrkirche wurde in ihrem Innern für den evangelischen
Gottesdienst umgestaltet. Die Emporen wurden am Ausgang
des Jahrhunderts errichtet; die Darstellungen aus der biblischen
Geschichte, mit denen ihre Wandungen verziert waren, trugen die
Jahreszahl 1592381); die Decke der Orgelbühne zeigte früher die
Inschrift "Nicolaus Willig 1593382). Die alten Altäre ließ man,
soweit sie dem Gestühl nicht im Wege waren, stehen; auch sonst
verfuhr man schonend. Noch 1707383) stand in der hl. Kreuz-
kapelle der Altar mit einem Crucifixus in Lebensgröße, darunter
die schmerzhafte Mutter; neben dem Altar an dem Pfeiler ein

378 Rep. 28 O.A. Lüben I Acta betr. Rechnungen, Einkünfte pp.
379 Konsignation der Pfarrurkunden O.A. Lüben I: S. 1 Nr. 5.
Die Ländereien des Spitals werden später als "Kreuzlöser" bezeichnet. 380 Rep. 28 III 15 f. 79 b.
381 Handschriftliche Chronik des Organist B. Heinrich.
382 Lutsch a.a.O. 383 Ein defektes Register über das Kircheninventar von der Hand
des damaligen kathol. Parochus Avian, im Pfarrarchiv Acta betreffen
diverse alte Sachen.