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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 236/237
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stellt, und wieder ein andrer ist gekommen, sich krank zu melden.
Allen muß der Kapitän Rat schaffen: der eine bekommt seine An-
weisung für den Büchsenmacher, der andre für den Kompagnie-
schuhflicker, der dritte muß ein Paar neue Sturmbänder haben,
der mit der unglücklichen Leibesbekleidung fällt neuerdings unter
die Scheere des stets reformierenden Kompagnie-Lappenflickers
und der sich krank Meldende wird ins Hospital verschrieben, um
daselbst von seiner guten Natur Wunder zu hoffen, da seine
Besserung von der dort herrschenden Kunst schwerlich zu erwarten
sein dürfte.
Nun ist es 10 Uhr. Die Soldaten bringen ihr selbstbereitetes
Essen, bestehend aus einem Gericht Erbsen oder Kartoffeln nebst
Fleisch zu ihrer Kameradschaft, und nachdem der Korporal die
Stückchen Fleisch verlost hat, wird das Mahl gemeinschaftlich aus
dem Kessel verzehrt. Bald darauf ruft der Tambour die zur Wache
Kommandierten, und mit großem Geräusch stürmen diese aus
allen Gassen des Lagers zum allgemeinen Waffenplatz. Die Wache
wird geordnet, gemustert, die Ordonanzen beordert, die neuen
Orders verlesen, und nachdem die Parole gegeben, zieht sie nach
allen Seiten ab, und das Tagewerk ist geschlossen. Wenn nicht
nachmittags exerziert wird, überläßt sich dann alles der Ruhe oder
putzt und ordnet den Anzug für den nächsten Morgen oder nimmt
auch Urlaub nach dem nahen Städtchen, um ein Quart Bier zu
trinken oder eine interessante Bekanntschaft fortzusetzen. Die
Offiziere folgen mit wenigen Ausnahmen demselben Treiben;
nur wird zuweilen ein Spielchen gemacht, oder man räsonniert,
da das Rauchen durchaus verboten ist.
So lebten wir in unserer Kolonie nach Soldatenart, unbe-
kümmert um das, was kommen würde, nur daß wir bald die
tödliche Langeweile unserer Untätigkeit zu fühlen begannen".
Nicht immer glich das Lagerleben einer Idylle. Kaum waren
die Truppen der Division notdürftig installiert, da erschien der
Kommandierende des 3. Korps, Feldmarschall Ney, Fürst von der
Moskwa, um sie zu besichtigen. Am 30. Juni vormittags 10 Uhr,
stand die Division "en bataille vor der Front des Lagers; die
Artillerie wurde am rechten Flügel en potence aufgestellt". Um
1/2 12 Uhr traf der Fürst, umgeben von einer glänzenden Suite,
ein; "er passierte zuerst die Revue der Artillerie und ließ diese
defilieren, ritt sodann an der Front der Division herab, ließ die
ganze Linie rückwärts links ausschwenken, auf ein Glied die
Spezialrevue formieren. Offizers und Unteroffiziers waren im
Haken am rechten Flügel ihrer Kompagnien aufgestellt; ein jeder
Kompagniekommandeur mußte nebst dem Kompagnierapport und
Rottenzettel eine namentliche Kopfliste der Kompagnie dem Mar-
schall abgeben, welcher eine Kompagnie nach der andern genau
revidierte. Hierauf wurden Kompagnien und Bataillons wieder
formiert, nach dem Befehl des Marschalls exerziert und manöv-
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riert, zuletzt vor demselben defiliert". Von dem Manöver berich-
tet der Geschichtsschreiber des 1. Linien-Infanterie-Regiments:
"Gewandt, sich aus einer jeden Enge zu ziehen, beabsichtigte der
Marschall, eine ähnliche Gewandtheit auch seine Truppen zu
lehren. Er bezeichnete ein Defilee, ließ dorthin die Division mit
Pelotons links abschwenken und befahl, den rechten Flügel durch
die rechts und links ausgeschwenkten Sektions der vorderen
Pelotons vorzuziehen und unmittelbar vor ihm zu defilieren. Die
vollkommenste Zufriedenheit des Fürsten belohnte die Division."
Er sprach dem Frhrn. von Stockhorn seine besondere Zufrieden-
heit über die gute Haltung der badischen Truppen aus und ver-
sprach, ihn der persönlichen Gnade des Kaisers empfehlen zu
wollen. Die Brigade erhielt 18 Kreuze der Ehrenlegion. Be-
mängelt wurden die badischen Tschakos, die keine genügend halt-
bare Form hatten. Auch die Hessen schnitten gut ab; der Marschall
lobte den Fleiß und die Sorgfalt, mit der die Baracken erbaut
waren, sowie die gute Ordnung im Lager.
War das Lagerleben für die Soldaten eine angenehme Ruhe-
pause nach anstrengender Kampagne, so wurde es für die Be-
wohner von Stadt und Land je länger je mehr zur Plage. Die
Stadt blieb nie ohne Einquartierung und stand unter dem Befehl
des Stadtkommandanten, Prem.-Lieut. von Cloßmann, auf den
man in Lüben schlecht zu sprechen war. Er hatte freilich die Auf-
gabe, die Requisitionen in der Stadt durchzuführen. Gelegentlich
ließ er sogar von den Schulkindern Exekutionszettel schreiben
unter der Drohung, er werde zwei Kompagnien Soldaten ins
Schulhaus legen, wenn die Arbeit nicht zur bestimmten Stunde
fertig wäre. Mitunter gab Cloßmann Befehl, die Häuser auf
Getreide- und Nahrungsmittel zu durchsuchen. Da ist es wohl
verständlich, wenn Schuster bemerkt: "Cloßmann war mit seinem
sympathisierenden Freunde, Herrn Koch, ein nirgends gern ge-
sehener Gast"649). Die Landbevölkerung wurde anfänglich stark
von marodierenden Trupps heimgesucht, sodaß sie sich Hilfe
flehend an Frhrn. von Stockhorn wandte, dessen Menschenfreund-
lichkeit bekannt geworden war650). Er legte am 1. Juli nach
Barschau, Pilgramsdorf, Guhlau, Koslitz, Groß- und Klein-
Rinnersdorf, Kniegnitz, Ziebendorf, Talbendorf je 1 Unteroffizier
und 8 Mann auf Sauvegarde. Über seinen Rayon hinaus konnte
er freilich nicht helfen. Ersparen konnte er allerdings den Land-
leuten die Kontributionen nicht. Wer die vorgeschriebenen

649 Daß Cloßmann an und für sich ein humaner Mann war,
beweist die Dankadresse der Bürgerschaft in Lüben vom 9.5.1813; ver-
öffentlicht in der "Karlsruher Zeitung" vom 15.11.1913 Nr. 313. -
Der genannte Herr Koch ist zweifellos der badische Kriegskommissar
gleichen Namens.
650 cf. Beiträge zur Geschichte des 1. Linien-Inf.-Rgts. und Journal
des Generals von Stockhorn.