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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 310/311
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Kapelle erbaut und am 25. November durch Freiherrn von Richt-
hofen eingeweiht. Nach einem Jahrzehnt ward sie subhastiert und
zur Turnhalle gemacht.
Am 1. Oktober 1890 trat Patrunky in den Ruhestand. Ihm
folgte im Primariat - und seit 1895 in der Superintendentur -
Hugo Schoen; das Archidiakonat wurde am 1. Oktober 1891 mit
Kurt Regehly, das Diakonat am 1. Juli 1891 nach achtzehnjähriger
Vakanz mit Konrad Klose besetzt. Wiederum geschah manches, um
den kirchlichen Betrieb entsprechend den modernen Anforderungen
umzugestalten. Die Amtsgeschäfte wurden seit 1893 etwas gleich-
mäßiger unter die drei Geistlichen verteilt; die beiden Diakonen
erhielten monatlich je einen Vormittags- und Kommunion-
Gottesdienst, am Konfirmandenunterricht beteiligte sich seit 1898
auch der Pastor prim. Ein im Jahre 1892 begründeter Männer-
und Jünglingsverein und ein von den Diakonissen 1893 gestifte-
ter Jungfrauenverein füllten Lücken in der Gemeindearbeit aus.
Als Zentrale für die Vereinstätigkeit war das Gemeindehaus
gedacht, dessen Errichtung schon 1895 erwogen wurde, das aber
erst zwei Jahre später für 36 000 Mark erworben und am
28. August 1898 eingeweiht ward. Mehrere reiche Schenkungen
ermöglichten den Ankauf des an der Schulpromenade gelegenen
Grundstücks, auf dem 1899 auch das vom Vaterländischen Frauen-
verein begründete Siechenhaus seine Stätte fand. Das Gemeinde-
haus mit seinem kleinen Saale bot der Diakonissenstation und
Kleinkinderschule, dem zweiten am 27. November 1897 von Lehrer
Jäckel ins Leben gerufenen Männer- und Jünglingsverein und
dem Jungfrauenverein Unterkunft. Seit 1908 nahm es die Stadt
für das Gymnasium und später für die Töchterschule in Anspruch,
sodaß es seinem eigentlichen Zweck zum guten Teil entfremdet
ward. Genannt sei noch der Zweigverein des Evangelischen Bun-
des, welcher 1905 gebildet wurde und seitdem in Stadt und Land
zahlreiche Mitglieder zählt.
Lebhafte Krisen im kirchlichen Leben rief die seit 1896/97
einsetzende Gemeinschaftsbewegung hervor. Sie schuf 1897 im
Vereinsheim Eben-Ezer einen Mittelpunkt für die weitverzweigte
Arbeit. Bahnbrecher und Träger der Bewegung war in erster
Linie Pastor Kurt Regehly, der sich mit seiner starken Persönlich-
keit und seinen hervorragenden Gaben völlig für die Sache ein-
setzte und ihr 1904 Amt und Zukunft opferte. Von der einen
Seite als Fremdkörper in der Gemeinde lebhaft bekämpft, von
der andern ebenso energisch als Salz für die Gemeinde gepriesen,
hat sich die Gemeinschaft allmählich ein gewisses Bürgerrecht er-
worben und auch da eine gerechtere Würdigung gefunden, wo
man sie anfänglich als Störenfried betrachtete. Eine wesentliche
Steigerung der Kommunikantenziffer (1878: 24 Prozent, 1888:
30 Prozent, 1898: 37 Prozent, 1903: 39 Prozent), ein starkes
Emporschnellen der Missionsgaben (1871: 600 Mark, 1896:
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1165 Mark, 1899: 1709 Mark, 1905: 2592 Mark), eine allseitige
Verbreitung christlicher Lektüre innerhalb der Parochie (ca. 1200
Pfennigblätter, Predigten usw. pro Woche), eine zielbewußte
Arbeit an den Gefährdeten (Blau-Kreuz-Verein seit 25. Septem-
ber 1897, Zufluchtsheim Pella in Guhlau 1902 bis 1918) und an
der Jugend (Jugendbund für entschiedenes Christentum seit 20.11.
1895, Weiß-Kreuz-Gruppe) liefern den Beweis, daß ein Segen in
der Sache war, wenn auch die Art, in der sie sich durchsetzte, nicht
immer einwandfrei war, und wenn auch noch nicht die Form ge-
funden worden ist, in der die Gemeinschaftsarbeit dem kirchlichen
Organismus eingegliedert werden konnte.
Über den Stand des christlich-sittlichen Lebens der Gegenwart
wird die kommende Generation ein Urteil abzugeben haben.
Hierzu mögen folgende statistische Angaben als Anhaltspunkte
dienen: Der Kirchenbesuch an den gewöhnlichen Sonntagen
beträgt etwa 5- bis 600 Personen, das sind 6 1/2 bis 8 Prozent der
Seelenzahl, die Zahl der Kommunikanten im Durchschnitt der
Jahre 1911/13: 2616, d. i. 33 Prozent der Seelenzahl. Der
Durchschnittsbetrag der Kirchenkollekten ist: 600 Mark, der
Missionsbeiträge: 1712 Mark, der Beiträge für den Gustav-Adolf-
Verein: 330 Mark, die Gesamtleistung der Kirchengemeinde für
kirchliche Zwecke (excl. Kirchensteuer; incl. Stolgebühr, Opfer
Kirchen- und Hauskollekten, Vereinsbeiträge u. dergl.) 12 000
Mark, d. i. 29 Prozent des Einkommensteuersolls pro 1914/15
gleich 43 231 Mark. - Von durchschnittlich 217 Geburten waren
27 unehelich, d. i. 12 1/2 Prozent, von 60 Brautpaaren 25 bescholten,
d. i. 42 Prozent, in den ca. 200 bekannten Mischehen wurden 330
Kinder evangelisch, 106 katholisch erzogen; in den 10 Jahren
1904/13 kamen 2 Austritte aus der evangelischen zur katholischen
und 47 Übertritte aus der katholischen zur evangelischen Kirche
vor. Noch einige für den kirchlichen Arbeitsbetrieb der neueren
und neuesten Zeit bemerkenswerte Daten seien registriert. Die
Militärgemeinde sicherte sich durch Vertrag vom 26. März 1903
die Mitbenutzung der Kirche für besondere Gottesdienste, während
sie bis dahin an den Gemeindegottesdiensten teilgenommen hatte.
Die Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt schuf in der Anstaltskirche
eine neue Predigtstätte, in der seit Dezember 1907 vierzehntägig
Gottesdienst gehalten wird. Am 30. Januar 1910 beschlossen die
kirchlichen Körperschaften die Einführung des neuen Provinzial-
Gesangbuches vom 1. April 1910 ab und bewilligten hierzu
300 Mark. Bei dem Wechsel im Primariat am 1. April bezw.
1. Oktober 1913 machte sich der Wunsch nach einer neuen Geschäfts-
einteilung für die Geistlichen geltend, zumal die Aufsichtsbehörde
die schon 1908 angeregte Einrichtung von Seelsorgebezirken bis
zu diesem Termin verschoben hatte. Am 8. Januar 1914 geneh-
migte der Gemeindeskirchenrat die neue Geschäftsordnung für die
Geistlichen, die sich auf dem Grundsatz der Gleichberechtigung