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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 314/315
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ungemischte Freude. Das Primariat war 1771 neu errichtet, die
beiden Diakonatshäuser waren 1714/15 zweistöckig aus Holz
erbaut und im Laufe der Jahre untermauert worden, jedoch
nachgerade vom Zahn der Zeit bis zur Baufälligkeit zernagt.
Wohl oder übel mußte sich der Fiskus zum Neubau entschließen.
Derselbe erfolgte 1862/63, leider auf dem räumlich beengten, vom
Schatten der Kirche verdunkelten Platze der alten Häuser; damit
war das Erdgeschoß von vornherein in "ew'ge Nacht getaucht".
Allmählich zeigten sich aber auch am Primariat die Symptome
des Greisenalters. An Reparaturen war kein Mangel; ihre
Kosten hätten dem allein unterhaltungspflichtigen Fiskus nahezu
einen Neubau bezahlt gemacht. Anfang der achtziger Jahre schien
man diesem Ziele nahe zu sein. Es bot sich in dem an den Kirch-
platz angrenzenden "Jünglingsgarten" ein geeigneter Bauplatz, aber
die kirchlichen Körperschaften lehnten am 7. Februar 1884 den
Ankauf ab. Die Folge dieses in kurzsichtiger Schikane gefaßten
Beschlusses war, daß 20 Jahre später, als der Neubau dringend
wurde, kein Platz für Geld und gute Worte aufgetrieben werden
konnte, bis endlich die Faulhaberstraße ihn bot. Das alte Prima-
riat wurde am 23. Juli 1913 für 18 000 Mark verkafut. Aber
ehe es zum Neubau kam, regte sich der Wunsch, auch den anderen
Pastoren mehr Raum, Licht und Luft zu verschaffen, und die
Errichtung eines Doppelwohnhauses für den ersten und zweiten
Geistlichen, während dem dritten im bisherigen Diakonatsgebäude
erweiterte Räume zugesichert wurden. Die Aussichten für das
umfangreiche Projekt waren nicht eben günstig; der Minister
lehnte es am 22. Oktober ab, gab aber, als ihm die sanitären
Mängel der Diakonuswohnung vorgestellt wurden, nach und ge-
nehmigte am 17. Februar 1914 den Bau des Doppelhauses. Sobald
die Unterhaltungspflicht des alten Diakonats geregelt sein würde,
sollte auch dem dritten Geistlichen ein neues Haus erstehen. Doch
der Krieg machte dem schönen Fortschritt, der hier zu verzeichnen
war, ein Ende. Erst 1921 wurde mit dem Bau eines Einzel-
wohnhauses für den zweiten Geistlichen begonnen.
Das Glöcknerhaus, nach altem Rezept billig und schlecht aus
Holz gebaut, wurde 1855 für ca. 450 rtl. massiv hergestellt, ver-
tauschte aber erst 1877 seine Schindeldecke mit einem Schieferdach.
Auch seine Tage dürften gezählt sein.
Nicht bloß Gewinn hat die Kirchengemeinde zu buchen gehabt,
auch Verlust war zu tragen. Im Sommer 1873 wurde der alte
Kirchhof und die untere Hälfte des neuen geschlossen. Die Stadt
plante die Anlage eines Kommunalfriedhofs. Daß ihr nicht bloß
die beiden der Kirche gehörigen Gottesäcker, sondern auch ein an
den neuen Kirchhof grenzendes, im kirchlichen Besitz befindliches
Ackerstück unentgeltlich überlassen wurden, und daß sich die kirch-
lichen Instanzen kein Baugelände auf dem alten Kirchhofe sicher-
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ten, gehört zu den Unbegreiflichkeiten der guten, alten Zeit. Die
beiden Begräbniskirchen wurden 1880 abgebrochen. Der Kom-
munalfriedhof ward am 7. November 1878, der neue Teil am
2. Oktober 1897 geweiht. Von den eingepfarrten Dörfern besaßen
Ziebendorf seit 1800, Guhlau seit 1837 eigene Friedhöfe; Knieg-
nitz folgte 1902. Die Heil- und Pflegeanstalt schuf sich 1907
ebenfalls einen eigenen Begräbnisplatz.
Die Modernisierung des Kirchenwesens in neuerer Zeit hätte
sich ohne geordnete Finanzwirtschaft nicht durchführen lassen. Die
Kirchgemeinde war immer genötigt, auf Kirchensteuern zu
rekurrieren; aber als man erst dazu übergegangen war, die
Umlagequote zu fixieren, ergab sich dank des stetigen Wachstums
der Steuerkraft der Kirchgemeinde die Möglichkeit, eine Reihe von
Aufgaben ohne Mehrbelastung der Gemeindeglieder durchzu-
führen. Die Wendung in der kirchlichen Finanzwirtschaft erfolgte
1894. Die Körperschaften beschlossen am 8. März bezw. 27. August
die Aufhebung des Klingelbeutels, des Beichtopfers, der Fest-
offertorien und Umgänge und die Fixierung des Kirchendiener-
gehalts vom 1. April 1895 ab; das bedeutete eine Ausgabe von
ca. 1800 Mark. Die erforderliche Umlage wurde am 3. Januar
1895 auf 22 Prozent der Staatseinkommenssteuer bemessen. Auf
dieser Höhe ist sie geblieben; da aber das Steuersoll stieg (1893:
15 900 Mark, 1913: 39 493 Mark) ergab die Umlage derartige
Überschüsse, daß vom 1. April 1907 ab die Unterhaltung der
Diakonissenstation auf den Kirchkassenetat übernommen, die sehr
erheblichen Beiträge zur Provinzialsynodalkasse geleistet und ein
Reservefonds von ca. 11 000 Mark aufgesammelt werden konnte,
ohne daß die Steuer erhöht werden durfte. Auch die Kosten für
die bevorstehenden Bauten werden aus der Umlagekasse bestritten
werden können. Der bis 1915 laufende Kirchkassenetat schließt
mit 9750 Mark in Einnahme und Ausgabe ab. Davon entfallen
6315 Mark auf Kirchensteuern; das Kirchen-, Pfarr- und Küsterei-
vermögen beträgt einschließlich einiger anderer Dotationskapita-
lien 80 755 Mark, das Legatvermögen 32 995 Mark; die Kirchen-
steuer ergab 1913: 9411 Mark.
Die Entwicklung des Lübener evangelischen Kirchenwesens
im Laufe der 175 Jahre preußischer Herrschaft bedeutet nicht
durchweg eine Aufwärtsbewegung. Die neue Zeit hat nicht bloß
der äußeren Form, sondern auch dem inneren Gehalt ihr Gepräge
aufgedrückt. Bedeutet Ersteres einen Vorzug, so Letzeres einen
Nachteil. Die mehr und mehr schwindende Macht der christlichen
Sitte durch die Macht eines bewußten persönlichen Glaubens-
lebens zu ersetzen, bleibt Aufgabe der Zukunft.