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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 404/405
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147 300 rtl.; 1860: 7578 Stück im Werte von 178 062 rtl.; 1861:
13 441 Stück im Werte von 249 742 rtl.
Um die Hochkonjunktur auszunützen832), wünschten die ärme-
ren Meister die Umwandlung der Spinnerei in der Oberwalke
(Stadtmühle) in ein Werk mit Dampfbetrieb und die Errichtung
eines neuen Walkgebäudes. Die "Eigenspinnereibesitzer", wie sie
später genannt wurden, die Besitzer der Spinnereien in Ossig
und Rodemühle, widersprachen aus erklärlichen Gründen, um die
Rentabilität ihrer Werke nicht zu gefährden. Die Partei der
"Spinnereiinteressenten" setzte aber ihre Absicht durch; die Regie-
rung wies den Magistrat an, das Unternehmen zu fördern. Die
Anlage wurde 1865 fertig, zu spät, um noch Früchte tragen zu
können, zu teuer, um sich rentieren zu können - sie kostete statt
10 000 rtl. 16 300 rtl. -, zu fehlerhaft in der Konstruktion,
um den Unternehmern nützen zu können. Sie wurde bald
nach ihrer Vollendung das Streitobjekt der beiden Parteien
innerhalb der Innung. Die zum Teil sehr erbitterten
Kämpfe, welche die Gerichts- und Verwaltungsbehörden
unaufhörlich beschäftigten und sich stetig komplizierten, zogen sich
fast durch ein Jahrzehnt hin und endeten mit dem Untergange
der Lübener Tuchmacherei. Recht und Unrecht in diesem Kampfe
der Parteien abzuwägen, ist nicht leicht; Schuld lag wohl auf
beiden Seiten. Aber darin mögen die Vertreter der ärmeren
Meister recht gehabt haben, daß es im tiefsten Grunde das Ziel
der "Reichen" war, das Innungsetablissement in ihre Hände zu
bekommen, um das Monopol für Spinnerei und Walke zu besitzen.
Es war weniger ein Kampf um das Recht als um die Macht. Sein
Verlauf war folgender:
Als der Betrieb der Spinnerei begann, wurde das alte
Innungsstatut vom 20. März 1854 durch eine Fabrik- und Walk-
Ordnung vom 26. Oktober 1865 ergänzt. Sie überließ Gewinn
und Verlust der Anlage den Spinnereiinteressenten; beides sollte
auf den Thaler des gezahlten Spinnlohns repartiert werden.
Ausdrücklich wurden aber die Aufwendungen für die Fabrik als
Innungsschulden anerkannt, für die also die ganze Innung
haftete. Zum Betriebe jedoch leistete die Innungskasse keinen
Zuschuß. Der Spinnlohn wurde auf 5 Pfg. pro Strähn fest-
gesetzt; über die Höhe des Walklohns sollte ein Innungsbeschluß
herbeigeführt werden. Ferner wurde die Trennung der Innungs-
kasse von der Spinnerei- und Walkkasse vorgesehen.
Die Krisis nahte schnell. Die fehlerhafte Einrichtung des
maschinellen Betriebes und der Krieg 1866 stellte von vornherein
die Rentabilität des Werks in Frage. In Lüben wurden haupt-

832 Das Folgende nach den Sonderakten betr. Tuchmacherinnung
im Stadtarchiv und Privatakten des Herrn Rentiers J. Schneider (Lüben),
die mir freundlichst zur Verfügung gestellt wurden.
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sächlich wollene Futterstoffe, sog. Lamas, fabriziert, und gerade
diese wurden infolge des Krieges garnicht verlangt. Die Spin-
nereiinteressenten zogen sich allmählich von der Fabrik zurück und
ließen anderwärts spinnen, Konventionalstrafen fruchteten nichts.
Die Spinnerei arbeitete mit Defizit. Die Gegenpartei behauptete,
der Lohnsatz sei zu niedrig, aber die Interessenten wiesen nach,
daß der Satz von 5 Pfg. durchaus marktgängig sei, daß aber die
Walke, an der die Eigenspinnereibesitzer interessiert waren, viel
zu billig arbeite, ein Doppelstück Lamatuch von 80 Ellen ginge
für 7 sgr. durch die Walke, aber hier würde der Satz mit Fleiß
niedrig gehalten. Trotzdem setzten die "Eigenspinner", welche
noch das Heft in den Händen hatten, die Erhöhung des Spinn-
lohns von 5 Pfg. auf 6 Pfg. durch. Dagegen erhob sich ein ge-
waltiger Sturm der andern, sie brachten die Fabrik zum Stillstand
und beschwerten sich bei der Regierung. Diese ermäßigte den
Satz auf 5 1/2 Pfg., verlangte aber gleichzeitig Bericht über den
finanziellen Stand des Unternehmens. Der Magistrat schätzte den
Fehlbetrag auf 5000 rtl. und wollte diese Summe auf die Inter-
essenten repartieren. Dagegen erhob sich ein neuer Sturm. Wieder
griff die Regierung ein; sie ließ durch den Regierungsbuchhalter
Mende das Defizit berechnen. Er rechnete für die Zeit vom 1. Juli
1865 bis 1. Juli 1868 einen Fehlbetrag von 7308 rtl. heraus.
Auf Veranlassung der Regierung sollte der Magistrat ein Drittel
dieses Betrages sofort einziehen. Aber die Innung, in der jetzt
die Interessenten die Majorität bildeten, protestierte und be-
mängelte die Mendesche Rechnung. Sie war in der Tat fehlerhaft,
da sie z. B. die Kosten der maschinellen Anlage, die Abnützungs-
quoten u. dergl. dem Spinngeld-Defizit zugerechnet hatte, Posten
für die die ganze Innung einstehen mußte. Außerdem wurde mit
Recht beanstandet, daß noch keine Innungskasse bestehe, und daß
jede Kontrolle fehle. Solange es an einer einwandfreien Be-
rechnung des Betriebsdefizits fehle, werde man sich gegen alle
illegalen Zahlungsforderungen wehren. Dies geschah auch sehr
nachdrücklich. Der Magistrat forderte den Innungsvorstand zur
Einziehung der Schuldbeträge auf, aber der Obermeister Funkert
und dessen Nachfolger Fabian - beide von der Interessenten-
partei - weigerten sich, Klage zu erheben. Sie waren durch keine
Ordnungsstrafe zu bewegen, Unterschriften zu leisten. Die vom
Magistrat einberufenen Innungsversammlungen verliefen resul-
tatlos; entweder erschien niemand oder nur einige Mitglieder,
beim dritten Male verhinderten die Anwesenden durch tumul-
tuarisches Verhalten jede Beschlußfassung.
Inzwischen drängten die Innungsgläubiger auf Bezahlung
und beantragten die Subhastation der Fabrik. Der Magistrat,
welcher ziemlich einseitig die Eigenspinnereibesitzer begünstigte,
versuchte die Innung zu einigen oder in eine offene Handels-
gesellschaft umzuwandeln. Aber die Erbitterung war auf beiden