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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 444/445
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Aber der Herr Posthalter hatte auch seine romantischen
Neigungen, denn er besaß wohl den schönsten Garten der Stadt
und hatte sich darin einen idyllischen Ruhebesitz geschaffen. Dies
Paradies lag an der Pforte zwischen den Pfarrhäusern und dem
alten Kirchhofe, in dem ehemaligen Wallgraben, also an der hier
noch fast unversehrten Stadtmauer, in deren Zuge sich auch ein
Turm erhalten hatte, bis zum Dach von Efeu übersponnen.
Mitten in dem Garten stand ein Pavillon, der im Jahre 1813
von einem französischen Prinzen oder General bewohnt worden
sein soll und seitdem vielfach als Wohnung für unverheiratete
Offiziere diente. Die Fruchtbarkeit auf diesem gegen Süden ge-
legenen, der Sonne zu geneigten Gelände war sehr üppig;
während der Fliederblüte berauschte es förmlich durch Farbe und
Duft. Nur wenigen Auserwählten war der Zutritt gestattet;
aber ein Mondscheinabend, den ich hier in holder Gesellschaft ver-
bringen durfte, wird mir unvergeßlich bleiben.
Doch wir kehren endlich wieder auf den "Ring" zurück. Da
war in der Mitte der Nordostseite, wo die schönen großen Linden
standen, die Weinhandlung von Thies, wo die Dragoner-Offiziere
ihre Schoppen tranken und fast täglich den Herrn Pfarrer Starost
in ihrem Kreise sahen. Sie betrachteten ihn daher scherzweise als
einen der Ihrigen und ließen ihn nach der Anciennität aufsteigen.
Als er hochbetagt, von allen Lübenern jeder Konfession verehrt,
starb, soll er es bis zum Oberstleutnant gebracht haben. Seine
Kameraden, d. h. die Offiziere, ließen es sich nicht nehmen, ihm
auf dem Kommunalkirchhofe ein Denkmal zu setzen.
Von den Offizieren sind mir noch einige Typen aus meiner
Kinderzeit erinnerlich, z. B. der Kommandeur und spätere General
von Tümpling und dessen Nachfolger von Raven; der Rittmeister
von Rieben, eines der ersten Opfer des österreichischen Krieges,
der Major von Buttler, eine martialische Gestalt mit gerötetem
Antlitz und riesigem herabhängendem Schnurrbart, der Rittmeister
de Clair, der im französischen Kriege Moltkes Adjutant war, der
sehr lange Leutnant von Blumenthal, der Leutnant von Bredow,
der das Cello künstlerisch meisterte. Stabstrompeter war Riebe,
der sich durch beträchtliche Leibesfülle auszeichnete. Sein Sohn
Gustav war mein Schulkamerad. Noch sehr gut im Gedächtnis ist
mir auch der Regimentsarzt Herkenrath geblieben, der wohl schon
1849 mit dem Regiment hier eingezogen war, ein stattlicher, alter
Herr, der die Kinder sehr lieb hatte und uns auf der Straße gern
in seiner fremdländischen Mundart ansprach.
Zu den Herren in der Thiesschen Weinstube gesellte sich auch
gern der Kreisphysikus Schüller, der einen echten Doktorstock trug;
ich denke, es war ein spanisches Rohr mit goldenem oder silbernem
Knopfe. Übrigens gab es einen alten Herrn Thies, einen sehr
würdigen, gutgekleideten Mann mit einer schweren, goldenen
Brille und tadellosen Vatermördern, und einen jungen Herrn
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Thies, seinem Sohne, dem man den ausgezeichneten Weinkenner
schon von weitem ansah.
Ein paar Häuser weiterhin wohnte Buchbinder Geistefeldt,
der auch einen "wohlassortierten" Papierladen hielt, in dem seine
Frau uns Kindern die schönsten Sachen verkaufte. Da gab es
z. B. Stahlfedern, die mit Kupfer galvanisch vergoldet waren, da
gab es Wunschbogen mit gepreßten Verzierungen, womit wir zu
Neujahr und Geburtstagen den lieben Eltern unter die Augen
treten durften; ach, was gab es da nicht alles!
Gleich daneben war die Spezerei- und Kolonialwarenhand-
lung des Herrn Böhm, ein ganz altfränkisches Geschäft, besonders
in Kaffee sehr leistungsfähig. Der Chef des Hauses im saubren
braunen Rock stand immer hinter dem Ladentisch; ich habe ihn
wohl niemals auf der Straße gesehen. Aber er hatte mehrere
schöne Töchter mit blassen, feinen Gesichtern.
Von der südöstlichen Ringseite, zwischen Liegnitzer und Tiefen
Gasse, weiß ich nicht viel zu sagen; an der einen Ecke wohnte Herr
Eschert, an der andern Herr Schensky, der das heute ganz ausge-
storbene Gewerbe eines Nadlers betrieb. - Interessanter war
mir die südwestliche Seite. Da war vor allem die Königlich-
privilegierte Apotheke, die einen schönen Adler im Wappen führte.
Darin schaltete Herr Knobloch, ein feiner, kleiner Mann mit einem
kurz gehaltenen Backenbart und der goldenen Brille auf der scharf-
gekrümmten Nase. Er war eine gewichtige Persönlichkeit in
städtischen Verwaltungsangelegenheiten. - Daneben, in einem
kleinen Hause, das sicher noch den Brand überstanden hatte, ver-
kaufte ein altes jüdisches Ehepaar, Elkusch, Kleiderstoffe und hatte
Freude an den wohlgeratenen Kindern. Dann kam, gegenüber der
Hauptwache, der Schwarze Adler, der von Herrn Schmidt, seiner
Frau und ihren lieblichen Töchtern geführt wurde. An Jahr- und
Wochenmärkten war hier der Verkehr mit Ausspannung sehr groß.
Nach hinten lag die große Gaststube, in der abends ehrsame
Bürger, mit der langen Pfeife bewaffnet, ihr Glas einfachen
Bieres und den dazu gehörigen Korn, beides zusammen für 1 sgr.,
tranken und unzählige Fidibusse verbrauchten, um den Tabak in
Brand zu erhalten. Vornheraus aber lag das Billardzimmer,
wo ich später, als junger Student, das edle Spiel mit den Elfen-
beinbällen gelernt habe. Damals hatte das Billard noch Löcher,
vier an den Ecken und zwei in der Mitte der Langseiten. Es galt,
den angespielten Ball in eins der mit einem sackartigen Netz ver-
sehenen Löcher zu treiben, der Spielball aber durfte sich in keins
verirren. Die sogenannten französischen Billards ohne Löcher und dem
Karambolagespiel kamen in kleinen Städten erst nach dem fran-
zösischen Feldzuge in Aufnahme. Ich halte das Billardspiel für
eine äußerst gesunde, weil sämtliche Muskeln des Körpers übende
Bewegung, die unter Umständen das Turnen ersetzen kann, und