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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 458/459
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getroffen. Meine Mutter erzählte mir, man habe einst an dieser
Stelle ein unartiges Kind beerdigt, das nach seinen Eltern schlug.
Später sei die ruchlose Hand zum Grabe herausgewachsen und
zur Linde geworden, ein Warnungszeichen für alle unartigen
Kinder. Die morsche Linde wurde wohl vor 40 Jahren gefällt
und die dahinterstehende Begräbniskirche abgetragen.
Unsere Wanderung führt uns durch den Schwibbogen zwischen
Kirche und Turm. Dieser steht ganz im Zuge der Stadtmauer
als ein Bestandteil dieser, und seine Front in einem Winkel zur
Achse des Kirchenschiffes, kann also niemals mit der Kirche orga-
nisch verbunden gewesen sein. Er hat auch garnicht die Gestalt
eines Kirchturms, sondern eher eines Burgturms. Aber er bringt
mit seinem kleinen Bruder, dem Pulverturm, eine kräftige Note
in das von der Ferne gesehene Stadtbild. Die Dohlen bauen in
ihm ihre Nester, und oft haben wir aus seinen Rüstlöchern uns
einen der gelehrigen Vögel herausgeholt.
Wir gehen nun durch die Mälzergasse an Hinterhäusern und
der Brauerei vorbei, um auf der damals noch sehr engen Straße,
die heut zur Bahnhofstraße erweitert ist, wieder auf den Ring zu
gelangen. Hier an der Ecke der Tiefen Gasse hat Herr Goldschiener
seinen vielbesuchten Laden, in welchem er Bücher verkaufte, eine
vielbegehrte Leihbibliothek und einen Journal-Lesezirkel unter-
hielt, aber auch alle Schreib- und Zeichenutensilien vertrieb. Er
war also gleichsam der Träger der Intelligenz in Lüben, übrigens
ein stiller, feiner Mann. - Auf derselben Straße wohnte auch
der Vertreter der Kunst, der Maler Koch, von riesenlanger Gestalt,
der wohl niemals eine Steigeleiter brauchte, um eine Stubendecke
mit Werken seines Pinsels zu schmücken. Im Winter, wenn sein
Geschäft flaute, malte er wohl auch Landschaften in Öl, schrecklich
anzusehen, bunt und dauerhaft. Da sich aber in Lüben kein
Mäcen fand, der an ein solches Gemälde einige Thaler gewendet
hätte, so wurde eine Verlosung veranstaltet und die winzigen
Anteilscheine durch die Kinder des Künstlers in allen Häusern
abgesetzt.
Um unsere Wanderung durch das Innere der Stadt zu
vollenden, begeben wir uns über eine Wallgrabenbrücke zum alten
Herzogsschlosse und zu der dazugehörigen Kapelle, die bis vor
kurzer Zeit dem Gottesdienste der kleinen katholischen Gemeinde
genügte. Wir stehen hier wohl auf dem ältesten Teil der deutschen
Siedlung, aus der die Stadt erwuchs. Hier, auf einer künstlich
geschaffenen Insel in dem Wiesenlandwinkel zwischen Kalter
Bache und Pfeffergraben, stand die befestigte Burg von Lüben,
von der allerdings nur noch wenige Grundmauern erhalten sind,
da das "Schloß", in dem lange Jahre Herr Sanitätsrat Jarmer
wohnte, erst um die Wende des 19. Jahrhunderts als Beamten-
haus erbaut ist. Desto wertvoller ist die Schloßkapelle, die zwar
auch vielfache bauliche Wandlungen erfahren, aber doch wenigstens
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das schöne frühgotische Portal mit den wichtigen Daten der ein-
gemeißelten Inschrift unserer Zeit aufbewahrt hat. (S. Abbildg.)
In diesem kleinen Gotteshause habe ich meine ersten kirch-
lichen Eindrücke empfangen, da ich, der 6-10jährige protestan-
tische Junge, meinen halb erblindeten katholischen Großvater in
den Gottesdienst begleiten mußte, dessen mir unverständlichen
Handlungen ich mit Verwunderung beiwohnte. Aber ich fand,
daß der Herr Pfarrer Starost, der schöne, hochgewachsene, kraft-
volle Mann mit dem pechschwarzen, krausen Haar, angetan mit
den goldgestickten priesterlichen Gewändern, wenn er, von Weih-
rauchwolken umhüllt, das Allerheiligste emporhielt, eine Ehrfurcht
erweckende Erscheinung war. Ihm assistierte damals schon Herr
Kantor Schwedowitz, in Figur, Tracht und Haltung einer feinen
Figur aus der Biedermeierzeit ähnelnd, ein tüchtiger Musiker
und ein Kalligraph ersten Ranges, was ich an den Kirchenplatz-
aufschriften bewundern konnte. Die Küsterdienste versah der
Schuhmacher Weiß, trotz seines Namens polnischer Abkunft; er
führte den Klingelbeutel und hielt im profanen Leben neben
seinem Handwerk eine Lotteriekollekte. Alle diese drei Beamte
der katholischen Kirche in Lüben haben wohl 50 Jahre lang in
schönster Harmonie ihren Dienst versehen und sind hochbetagt und
von ihren Mitbürgern hochgeachtet gestorben.
Hier möchte ich meine Erinnerungen an Lüben, wie es etwa
vor 60/70 Jahren war, schließen und mich nicht aus dem Stadtmauer-
Bezirk in die Vorstädte wagen. Ich könnte noch viel, viel erzählen,
da ich ja in den Jahren 1852-57 in der Liegnitzer Vorstadt oder
vielmehr in Samitz unter ganz ländlichen Verhältnissen gelebt
habe. Aber das würde zu weit führen und die Einheitlichkeit
des Bildes, das ich zu entwerfen versucht habe, stören. Ob es
richtig gezeichnet ist, das mögen die ganz Alten entscheiden, die
das Jahrzehnt 1850 bis 1860 schon mit reifem Verstande durchlebt
haben. Ich würde ihnen dankbar sein, wenn sie mich auf
Irrtümer aufmerksam machen.