Dienstberichte des Landrats des Kreises Lüben vom 27.1.1945 und 27.2.1945
Die Großfamilie Brand in Lüben und Mallmitz














Die letzten Tage von Lüben:
Dienstberichte des Landrats des Kreises Lüben, Friedrich Bourwieg, vom 27.1.1945 und vom 27.2.1945

Die Berichte zeigen, dass der Landrat bis zuletzt glaubte, nur seine Pflicht zu tun. Wenn schon Zweifel anklingen, dann nur an einzelnen Entscheidungen von Vorgesetzten, selbst zu diesem Zeitpunkt nicht am nationalsozialistischen System insgesamt. Deutlich wird das Bemühen des Landrats sein Tun gegenüber den Vorgesetzten ins rechte Licht zu setzen.

Dass er noch am 29.1.1945 Meldung über entdeckte Deserteure machte, berührt mich besonders. Vielleicht waren es 18jährige, die ihr Leben noch vor sich gehabt hätten, oder Familienväter, deren Kinder nach der Meldung des Landrats ohne ihre Väter aufwachsen mussten, oder alte Volkssturmmänner wie mein Großvater, die im zweiten Krieg, in den sie befohlen wurden, nicht als sechzigjährige 'Helden' sterben wollten.

Auch dieser Landrat hielt das Getriebe des NS-Systems bis zuletzt in Bewegung. Dass sich die Deutschen nicht dagegen gewehrt haben, mussten vor allem die Schlesier büßen.


Der Landrat des Kreises Lüben (Schles.)
Dienstbericht vom 27. Januar 1945
Betrifft : Evakuierung

Am Donnerstag, dem 25.1.1945, fand gegen 9 Uhr eine Besprechung in der Kreisleitung statt. Der Kreisleiter hatte dazu außer seinen Dienststellen auch Behördenleiter gebeten. Zugegen war Hauptmann Raven als Standortältester.

Der Kreisleiter gab bekannt, daß eine Evakuierung des Kreises Lüben nicht beabsichtigt sei, Maßnahmen deshalb nicht vorzubereiten seien. Während der Besprechung erstattete der dem Volkssturm angehörende SS-Scharführer Müller, Lüben, Triebelgut, Meldung, daß die Wehrmacht wie auch der in der Kaserne untergebrachte Volkssturm meutere, insbesondere der fehlenden Waffen sowie des mangelhaften Essens wegen. Die Versorgung der Stadt Lüben, vor allem mit Brotgetreide, war inzwischen bedrohlich geworden. Denn außer 11 000-12 000 Einwohnern waren noch rund 10 000 Evakuierte des Kreises Guhrau zu betreuen. Ich ließ daher aus der Mühle in Steinau, wo ab Donnerstag geringe Kämpfe der Unteroffiziersschule Jauer mit einigen eingedrungenen Panzern, die abgeschossen wurden, stattgefunden, Mehl holen, sowie zum Backen Kohlen aus dem Gute von Lüttichau in Mlitsch.

Herr Landrat Wick aus Wohlau, der sich bis zum Donnerstag in Tauer, 3 km westlich Steinau, aufgehalten hatte sowie noch in Steinau war, und der Bürgermeister Jungfer aus Zedlitz rieten zu einer vorsorglichen Evakuierung der ostwärts gelegenen Ortschaften. Der Kreisleiter lehnte diese ab. Da ab Nachmittag eine Abholung von Mehl aus Steinau nicht mehr möglich war, die westlich gelegenen Kreise behaupteten, Mehl nicht mehr abgeben zu können, bat ich den Landrat von Hoyerswerda um Belieferung. Die abgesandten Wagen sind in Lüben nicht eingetroffen. Durch einen aus Berlin nach Steinau Munition fahrenden Ritterkreuzträger sowie einen Oberleutnant Lucke, die mir Grüße von einem Freunde übermittelten, erfuhr ich die militärische Lage bei Steinau, wo auf dem Ostufer der Oder mehrere russische Divisionen aufmarschiert sein sollten. Den Behördenleitern wurde daraufhin von mir aufgegeben, die Geheimsachen zur Vernichtung vorzubereiten.

Am Freitag, dem 26.1.1945, fand um 4 Uhr eine Besprechung der Behördenleiter und Kreisamtsleiter statt. Der Kreisleiter teilte mit, daß nach einer um 10 Uhr stattfindenden Ortsgruppenleiterbesprechung um 12 Uhr die Evakuierung der Stadt und des Kreises Lüben bekanngegeben würde. In seiner auf dem Ring verkündeten Bekanntmachung teilte der Kreisleiter mit, daß nur eine vorsorgliche Evakuierung erfolge, Anlaß zur Beunruhigung bestünde nicht, zumal Zeit zur Evakuierung bis zum 29.1.1945 einschließlich bestünde.

Auf meine Anweisung hat mein Fahrbereitschaftsleiter daraufhin sämtliche im Kreise befindlichen Kraftfahrzeuge auch aus dem Kreise Guhrau, auf 10 Uhr zum Landratsamt bestellt. Gegen 10 Uhr waren 40 bis 50 Lastwagen anwesend, so daß ab 12 Uhr nach erfolgter Schneeräumung der Straßen nach Kotzenau und Primkenau der Pendelverkehr dorthin begann.

Nach den beruhigenden Worten des Kreisleiters auch am Sonnabendvormittag waren die Bestrebungen der Lübener Bevölkerung, Lüben zu verlassen, außerordentlich gering. Die wenigen zur Verfügung gestellten Züge fuhren an diesem Tage halb leer fort, da Anlaß zur Beunruhigung scheinbar auch nicht vorlag. Der Kreisleiter selbst hatte öffentlich mitgeteilt, daß er ab Montag in Rothenburg, unserem Aufnahmekreis zu erreichen wäre. Ich selbst bekümmerte mich zunächst um die Freimachung der Straßen vom Schnee. Zur Kontrolle fuhr ich mit dem Gend.-Kreisführer über Groß-Rinnersdorf, Jauschwitz, Mlitsch. Zwischen Mlitsch und Lüben angetroffene und der Kreisleitung zugeführte Volkssturmmänner erklärten, aus Köben mit Stalinorgeln herausgeworfen zu sein. Der Russe sei dort übergesetzt und bilde einen Brükkenkopf. Diese Mitteilung teilte ich dem Kreisleiter mit, der für den gesamten Volkssturm im Kreise Lüben verantwortlich war.

Nach vielen Mühen war es mir gelungen, von der G. K.-mot in Lüben eine Zugmaschine, vom Fliegerhorst 100 Liter Benzin zu erhalten, um einen Schneepflug die infolge des erneuten Schneefalles völlig unpassierbaren Straßen nach Kotzenau und Primkenau erneut freimachen zu lassen. Denn die Hauptschwierigkeiten bereiteten die beginnende Benzinverknappung sowie die entstehenden Anforderungen der Wehrmacht. Ich sah mich daher gezwungen, den Tankstellen, die am Donnerstagabend über insgesamt 1200 Liter Benzin verfügten, aufzugeben, Benzin außer gegen Tankkarten nur gegen von mir ausgestellte Bescheinigungen auszugeben. Ohne diese Maßnahme wäre der Benzinvorrat bereits am Donnerstag restlos erschöpft gewesen, denn die auswärtigen Fahrzeugbesitzer waren im Besitz reichlicher Mengen von Tankkarten, u. a. wollte Herr Landrat Pfeiffer 200 Liter tanken. Benzin wurde verlangt von der Wehrmacht zum Abtransport von Verwundeten von Steinau nach Haynau, sowie aus der Gegend von Rädlitz und Herzogswaldau, 100 Liter mußte ich allein einer Batterie zur Verfügung stellen, damit diese vom Bahnhof Lüben nach Tauern, 2 km westlich Steinau, in Stellung gehen konnte. Ich hielt diese Forderungen der Wehrmacht für vordringlich. Meine Bemühungen, Benzin für Lüben zu erhalten, scheiterten. Der Standortälteste erklärte, angeblich nicht über Benzin zu verfügen, ebenso der Fliegerhorst, obgleich dort am Sonnabendabend 7000 Liter in die Luft gejagt worden sind! Der kaufmännische Leiter der Wifo, Tauchert, Vorderheide, erklärte, daß in Vorderheide kein Benzin mehr vorhanden sei. In einem Telefongespräch habe ich Herrn Regierungspräsidenten Dr. Bochalli von dieser Situation unterrichtet mit der Bitte zu veranlassen, daß etwas Benzin nach Lüben käme. Mir wurde die Einleitung der erforderlichen Maßnahme zugesichert. Leider traf kein Benzin ein!

Herr Oberregierungsrat Pinzke, der im Laufe des Vormittags bei mir eintraf, wurde von mir über die militärische Situation unterrichtet und ihm erklärt, daß Steinau sich ohne Verstärkung an Menschen und Material nicht lange zu halten vermöge, die Hauptgefahr jedoch von Köben aus drohe, wo der Russe einen Brückenkopf gebildet habe. Ich bat um militärische Verstärkung, gegebenenfalls um Zurverfügungstellung der in Liegnitz stationierten Polizeikompanie. Nach einem im Laufe des Nachmittages eingegangenen Telefontelegramm wurde dieser Bitte nicht entsprochen, da eine Verstärkung nicht für erforderlich gehalten wurde. Am Nachmittag rief mich Herr Ministerialdirigent Dr. Fuchs aus Berlin an. Er bedankte sich für die Betreuung und Weiterbeförderung des Finanzausgleichsamtes. Soweit telefonisch möglich, teilte ich ihm die Lage mit. Herr Ministerialdirigent Dr. Fuchs glaubte mich beruhigen zu können und erklärte, maßgebliche Berliner Dienststellen unterrichten zu wollen. Er teilte mir in einem nächtlichen Telefongespräch mit, daß Gegenmaßnahmen liefen, so daß die Situation bereinigt würde. Tatsächlich sind auch Truppen von Glogau aus angetreten, um an der oder entlang den Russen von seinem Brückenkopf abzuschneiden. Am Freitag habe ich nach telefonischer Rücksprache mit Herrn Oberregierungsrat Dr. Duczek, der mir die Vernichtung der VS-Sachen entsprechend der von mir selbständig zu beurteilenden militärischen Lage freistellte, den Behördenleitern und Bürgermeistern die Vernichtung der Geheimsachen aufgegeben, am Sonnabendvormittag die Vernichtung der zu beseitigenden Karteien Am Sonnabendvormittag war der Kreis Lüben, außer Zedlitz, 5 km östlich Lübens, und um Gaffron frei vom Gegner.

Am Sonnabend, dem 27.1.1945, überstürzten sich die Ereignisse. Ein Schneesturm mit Kälteeinbruch und außerordentlichen Schneeverwehungen machte eine erneute Freimachung der Straßen erforderlich. In den bereits geräumten Ortschaften waren die wenigen zurückgebliebenen Männer nicht in der Lage, neben dem Bau von Panzersperren die Schneeräumung ordnungsgemäß durchzuführen. Die Räumung war auch weniger der Trecks wegen erforderlich, sondern um den Nachschub der Wehrmacht zu sichern. Mit einer Zugmaschine der G. K. mot, mit vom Fliegerhorst zugeteiltem Benzin, ließ ich unter Aufsicht des Gend.-Beamten Friebe, Brauchitschdorf, die Straße nach Kotzenau über Oberau, Gläsersdorf und zurück über Groß-Kotzenau, Seebnitz von Schnee räumen. Die Schneeräumung kam im wesentlichen nur noch den Trecks zugute, weniger dem Pendelverkehr zwischen Primkenau und Kotzenau.

Am Sonnabendvormittag teilte mir der Fahrbereitschaftsleiter mit, daß nur 4 bis 5 Lastfahrzeuge statt 40 bis 50 Fahrzeuge am Freitag zur Verfügung stünden. Die meisten Fahrzeugbesitzer seien nicht mehr zu erreichen; soweit erreichbar, erklärten sie, daß die Fahrer davongelaufen seien oder die Maschinen im Schnee steckengeblieben wären. Diese Angaben entsprachen nicht den Tatsachen. Denn wie ich am Sonntag in Görlitz persönlich feststellte, hatte die Kreisleitung und die Kreisamtsleitung der NSV den Fahrzeugbesitzern Bescheinigungen ausgestellt, die sie berechtigten, am Freitagabend mit ihren Fahrzeugen ihre Familienangehörigen und Gefolgschaftsmitglieder nach Görlitz und Bautzen zu bringen; eine Angelegenheit, die gründlichster Untersuchung und Heranziehung der Verantwortlichen bedarf. Die Frau des Kreisleiters Johnas ist z. B. mit einem Pkw der Firma Schulz, Lüben, am Freitagabend in Görlitz gewesen. Versuche, über den Nahverkehrsbevollmächtigten Fahrzeuge zu erhalten, scheiterten, ebenfalls gab es keine Fahrzeuge von den westlich gelegenen Fahrbereitschaftsleitern. Der Abtransport der Lübener Bevölkerung, von der am Sonnabendvormittag noch etwa 10 000 Einwohner, einschließlich der Guhrauer, anwesend waren, wurde katastrophal, zumal die Reichsbahn nur wenige Züge zur Verfügung stellte. Die Stimmung beruhigte sich, als der Kreisleiter durch Lautsprecherwagen mitteilte, daß zur Beunruhigung kein Anlaß vorläge, da der Gegner weit zurückgedrängt sei. Vorsorglich ließ ich das zu rettende Aktenmaterial an einigen Dienststellen zusammentragen, um es erforderlichenfalls sofort abtransportieren zu können. Nach der Mitteilung des Kreisleiters tauchten Gerüchte auf, wonach der Gegner 100 km zurückgeworfen sei. Dieses Gerücht, sowie die Mitteilung, daß die Trecks nach Anordnung des Landrats wieder zurückfahren bzw. nicht abfahren sollten, wurde als Feindpropaganda erkannt.

Gegen 14 Uhr rief mich der Kreisleiter an und bat mich, "gelegentlich" einmal zu ihm zu kommen. Aus der Art des Anrufes mußte ich entnehmen, daß es sich um die Behandlung einer weniger bedeutsamen Frage handele. Ich war gegen 17.30 Uhr bei ihm. Der Kreisleiter, der völlig ratlos war, erklärte mir, daß Köben verloren sei. Der Gegner sei über Töschwitz mit zwei Kompanien in Mlitsch eingedrungen und fühle bereits am Fliegerhorst vor. Außerdem befände er sich bereits in Herzogswaldau. Major Baumann, Kommandeur des Fliegerhorstes, wolle eine Offizierspatrouille entsenden. Falls diese Angaben bestätigt würden, müsse der Fliegerhorst gesprengt werden, zuvor die Ziegelei Mallmitz mit eingelagertem Flugzeugmaterial. Ich bestellte daraufhin sofort den Fahrbereitschaftsleiter zu mir in die Kreisleitung. Er bekam den Auftrag, von den westwärts gelegenen Fahrbereitschaftsleitern Fahrzeuge zum Abtransport der restlichen 7000 Menschen anzufordern. Bis 22 Uhr hatten wir noch kein Gespräch durchbekommen. Der Kreisleiter fragte mich, ob er den Volkssturm einsetzen solle, nachdem die Waffen und die letzten Panzerfäuste der Wehrmacht zur Verfügung gestellt seien. Ich erwiderte ihm, daß diese Entscheidung ihm obliege. Er erklärte darauf, daß er den Volkssturm nicht einsetzen wolle, da der Gauleiter entschieden habe, daß Volkssturmmänner ohne Waffen nicht eingesetzt werden sollten. Dem anwesenden Bannführer Pietreck wurde der Auftrag erteilt, den Volkssturm III und das Wehrertüchtigungslager zurückzuführen. Der Kreisleiter erklärte resigniert, daß ein Ortsgruppenleiter Lüben bereits gegen 17 Uhr verlassen habe.

Ich verabschiedete mich vom Kreisleiter gegen 19 Uhr, um den Abtransport der Bevölkerung sicherzustellen. Die Bevölkerung war völlig ruhig, da sie über die drohende Gefahr vom Kreisleiter nicht unterrichtet wurde. Um 19.30 Uhr faßte ich sämtliche Abteilungsleiter zu einer Besprechung zusammen. Ich unterrichtete sie über die Lage. Während ich am Sonnabend früh den im Amt befindlichen Frauen freigestellt hatte, mit ihren Familienangehörigen abzufahren - außer einer Telefonistin und einer Mitarbeiterin in der Fahrbereitschaft - und den Volkssturmpflichtigen aufgegeben hatte, sich eintretendenfalls beim Volkssturm in der Kaserne zu melden, hatte ich den Mitarbeitern, die dienstlich zurückbleiben mußten, zugesichert, sie zum Teil mit Familienangehörigen abzubefördern. Nachdem mich gegen 21.30 Uhr der Kreisleiter davon unterrichtet hatte, daß der Gegner am Fliegerhorst stünde und dieser bald in die Luft gesprengt würde, ließ ich durch meinen Fahrbereitschaftsleiter einen Wagen mit Anhänger beschaffen.

Nachdem gegen 22 Uhr der Fliegerhorst und die Ziegelei Mallmitz in die Luft gesprengt waren und sich aus Richtung Fliegerhorst MG-Beschuß hören ließ und einige Panzergranaten in die Stadt einschlugen, habe ich den Befehl zum Abrücken erteilt. Ich selbst wollte beim Volkssturm in Lüben bleiben, hatte meinen Wagenschlüssel bereits abgegeben, um mich beim Volkssturm, obwohl "av", zu melden. Von diesem Vorhaben rieten mir meine Abteilungsleiter ab, da von Lüben aus die Organisation des Abtransportes der Bevölkerung nicht möglich war. Nachdem ich mich durch Anruf in der Kaserne davon überzeugt hatte, dazu der Lübener Volkssturm bereits abgerückt war, habe ich die Fortschaffung der Lübener Stadtbevölkerung als zunächst einzige und vordringlichste Aufgabe betrachtet. Da Telefongespräche mit den westwärtigen Fahrbereitschaften nicht mehr zu erreichen waren, hielt ich das Aufsuchen der zunächstgelegenen Fahrbereitschaftsleiter bzw. Landräte zwecks Anforderung von Fahrzeugen für die im Augenblick allein mir als Behördenleiter obliegende Aufgabe. Da zu meinem Wagen auch kein Fahrer zu finden war, ließ ich mir den Wagenschlüssel zurückgeben und fuhr, nachdem ich zwecks Einholung von Weisung - leider vergeblich - die Regierung zu erreichen versucht hatte, am Sonnabend gegen 23 Uhr von Lüben nach Bunzlau, Görlitz, Rothenburg. Meinen Bemühungen gelang es, Fahrzeuge, wenn auch in geringer Zahl, nach Brauchitschdorf bei Lüben zu dirigieren, so daß mir einige Tage später in Lüben gemeldet werden konnte, daß nur etwa 15 Familien, ausschließlich alte und gebrechliche Personen, in Lüben seien, die dort verbleiben wollten.

Um die Insassen der Provinzial-Heil-und Pflegeanstalt habe ich mich allerdings nicht bekümmern können, da die Anstalt vom 28.1.45 bis zum Abschluß der Kämpfe am 8.2.45 abends sich in russischer Hand befand.

Am Sonntag, dem 28.1.45, gegen 3 Uhr war ich in Bunzlau, gegen 7 Uhr in Görlitz, gegen 14 Uhr in Rothenburg. In Görlitz traf ich eine große Anzahl Lübener Fahrzeugbesitzer. Ich machte ihnen Vorwürfe, ohne Genehmigung des Fahrbereitschaftsleiters einfach fortgefahren zu sein und damit die Evakuierung sabotiert zu haben. Mir wurden daraufhin Fahrbefehle, die vom Kreisleiter Alfred Jonas und vom Kreisamtsleiter der NSV Trenk gezeichnet waren, vorgelegt. Diese Fahrbefehle ermächtigten die Fahrzeugbesitzer, ihre Familien und Gefolgschaftsangehörigen nach Görlitz und Bautzen zu bringen, und zwar vom 26.1.45.

In Rothenburg habe ich dem im Laufe des Nachmittages eingetroffenen Regierungsoberinspektor Hillmann die Verwaltung und Betreuung der Lübener Kreisbevölkerung übertragen. Dort stellte ich durch Besprechung mit Herrn Landrat Zschake sowie durch Telefongespräch mit dem Kreisleiter in Niesky fest, daß der Kreis Rothenburg überhaupt nicht Aufnahmekreis für den Kreis Lüben sei, vielmehr sei Forst vorgesehen. Der Kreisleiter erklärte sich jedoch bereit, die eintreffenden Trecks und Menschen so gut wie nur möglich unterzubringen. Er bestätigte mir in einem erneuten Telefongespräch, daß zwischen den Kreisamtsleitern der NSV Lüben und Rothenburg der Kreis Rothenburg als Aufnahmekreis vorgesehen worden sei. Allerdings sei weder er noch Gauamtsleiter Saalmann unterrichtet worden. Unser Aufnahmekreis sei ausschließlich Forst. Forst hat jedoch, wie ich später hörte, die Aufnahme abgelehnt, die Verwaltung nach Bautzen verwiesen, von wo sie nach Großenhain und Oschatz dirigiert wurde, Kreise, die nach Auskunft des Landrats in Großenhain, Oberregierungsrat Rothe, bereits seit Wochen für die Aufnahme des Kreises Lüben vorgesehen gewesen sein wollen.

Am Montag, dem 29.1.45, fuhr ich gegen 10 Uhr mit einem Lastwagen der Firma Raasch, Kotzenau, nach Kotzenau. Wir trafen dort erst gegen 20 Uhr ein, da an diesem Tage sämtliche Fahrzeuge von NSKK beschlagnahmt wurden und ich in Görlitz außerordentliche Mühe hatte, das Fahrzeug freizubekommen. Dort meldete ich mich bei dem im RAD-Lager unter Führung von Bürgermeister Franke, Haynau, untergebrachten Haynauer Volkssturm und beteiligte mich gegen 24 Uhr an der Abfertigung zweier Sonderzüge, die Kotzenau verließen, und organisierte am Dienstag, dem 30.1.45, zusammen mit Bürgermeister Hawranke Abtransport und Versorgung der Kotzenauer Bevölkerung. Den Straßenmeister Kupsch beauftragte ich mit der Schneeräumung. Gegen 13 Uhr fuhr ich mit dem Gend.-Kreisführer, Oberleutnant Nowotnick, nach Seebnitz mit der in Kotzenau stationierten Feldgendarmerie, von dort mit Schlitten über Braunau (Bürgermeister Hanuschke) nach Klein-Krichen. Dort erstattete ich Meldung über in Braunau angetroffene Deserteure beim Panzerjagdkommando.

Da ich nicht nach Lüben hineingelassen wurde, blieb ich in Klein-Krichen. Der Gegner befand sich während dieser Zeit mit zwei Kompanien 4 km entfernt in Oberau.


Der Landrat des Kreises Lüben (Schles.)


27. Februar 1945
Betr.: Evakuierung

Mittwoch, den 31.1.1945

Mit Nachrichtenhauptmann über Groß-Krichen nach Brauchitschdorf. Im Panzerzug nach Lüben bis Zuckerfabrik Lüben. Kampfkommandant Hauptmann Meyer hielt Verbleiben in Lüben für zwecklos, da starker Beschuß. Fuhr mit Hauptmann Meyer und Kreisleiter (Jonas) nach Liegnitz. Gegen 16 Uhr Berichterstattung bei Herrn Regierungspräsidenten Dr. Bochalli. Mit Kreisleiter gegen 19 Uhr nach Buchwald. Regierung angerufen, daß unter Fuchsmühl 34 erreichbar.

Donnerstag, den 1.2.1945

Von Buchwald mit Kreisstabsführer König nach Groß-Kotzenau. Gend.-Kreisführer Nowotnick angetroffen. In Groß-Kotzenau Gend.-Station, Dienststelle eingerichtet, da letztes Telefon vor Lüben. Mit König und Gend.-Kreisführer nach Kotzenau. Besprechung mit Stadtkommandanten Oberleutnant Lindemann und Bürgermeister Hawranke über Verwaltung der Stadt Kotzenau.

Freitag, den 2.2.1945

10 Uhr zum Bürgermeister von Kotzenau, mit Ernährungsamt beauftragt, Bürgermeister Standke, Groß-Kotzenau Kreissparkasse. 13.30 Uhr nach Lüben. Bei Infanteriebeschuß der Dienstwohnung und des Landratsamtes zurückgebliebenes Räumungsgut geladen.

Sonnabend, den 3.2.1945

Telefonische Anordnung des Regierungsvizepräsidenten Tesmer lag vor, ihn mit Bürgermeistern aus Kotzenau und Groß-Kotzenau und Gend.-Kreisführer zu erwarten. Regierungsvizepräsident traf gegen 15 Uhr in Groß-Kotzenau ein. Besprechung bis 18 Uhr. Gemeinsam nach Buchwald zum Kreisleiter. Dort Besprechung bis 21 Uhr. Anschließend beim Bürgermeister in Fuchsmühl. Rückkehr nach Groß-Kotzenau.

Sonntag, den 4.2.1945

9 Uhr nach Lüben mit Gespannen. Ab Bahnüberführung in Lüben Gespanne zurückgeschickt, weil sie Flakbeschuß bekamen. Zur Raiffeisengenossenschaft, dort Besprechung Scholz und Sauer, sowie Kreisbauernführer wegen Roggentransport, anschließend zur Kommandantur. Feststellung, ob sich Polizeimeister Hermann als neuer Bürgermeister gemeldet habe, und Besprechung Hauptmann Meyer. Kreissparkasse auf zurückgebliebenes Räumungsgut hin durchgesehen. Dienstsitz des von Koenig-Westphal im Auftrage des Kreisleiters eingesetzten neuen Bürgermeisters, des Dentisten Mayer, im "Grünen Baum". Kreisleiter hatte Auftrag nicht erteilt, da Mayer geeigneter als Hermann, nachträglich Einverständnis erklärt. Mayer gab Erklärung ab, daß Bevölkerung bis auf 15 Familien, größtenteils ältere Menschen, die in Lüben bleiben wollten, restlos evakuiert sei Mit Hermann zum Kreishaus. Medikamente und restliche Akten nach Groß-Kotzenau gebracht. In Groß-Kotzenau lag Telefongespräch des Regierungsvizepräsidenten vor, ihn anzurufen. Regierungsvizepräsident gab mir auf, am. 5.2.45 gegen 7 Uhr mit ihm nach Lüben zur Kommandantur zu fahren. Gegen 22 Uhr rief der Kreisleiter an, daß ich so bald wie möglich mich beim Gauleiter in Breslau zu melden hätte. Regierungsvizepräsident angerufen, ob seine Ankunft am 5.2.45 abzuwarten sei oder ich nach Breslau fahren solle Gab Anweisung, auf ihn zu warten.

Montag, den 5.2.1945

Telefontelegramm des Regierungspräsidenten vom 2. und 3.2. durch Kuriere an Bürgermeister durchgegeben. Gegen 9 Uhr mit Regierungsvizepräsident zu Hauptmann Meyer, Lüben. Hauptmann Meyer erklärte, daß Lüben am Sonnabend von den Dienststellen geräumt werden mußte. Das einzige und wichtige Problem sei die Zurückführung der im Augenblick des Eindringens der Russen befindlichen 7000 Menschen gewesen und die Sicherung des Transportraumes. Gegen 12 Uhr mit Regierungsvizepräsident nach Liegnitz, dort bis gegen 18 Uhr zu seiner Verfügung. Anordnung, Gauleiter wünschte meine Anwesenheit nicht mehr.

Mittwoch, den 7.2.1945

Von Neurode nach Lüben zu Stadtkommandanten und Bürgermeister. Gefallene Russen beerdigt usw.

Donnerstag, den 8.2.1945

Mit Lastwagen nach Lüben. Straße Groß-Krichen - Lüben lag unter Art.-Beschuß. Ab 6.35 Uhr war Lüben 50 Minuten mit Stalinorgel und Artillerie beschossen. Lastwagen wurden nicht mehr durchgelassen. Mit Lastwagen nach Seebnitz. Getreide geladen. 13 Uhr nach Groß-Kotzenau. 13.55 Uhr Panzerdurchbruch durch Seebnitz. Panzersperre wurde eingezogen. Wehrmacht zog sich zurück, ebenfalls Gendarmerie. Vom Sand aus 14.20 Uhr zurück nach Dominium. 5 T 34 aufgefahren. MG-Beschuß. 3 Panzer fuhren Richtung Krebsberg. Ein Panzer im Dominium von Stukas zerschlagen. Versuch, Stukas einzuweisen, mißlang. Zur Sandschule. Dort Mitteilung, daß Ortsgruppenleiter Reichelt erschossen. Über Wiesen nach Raupenau. Am Waldrand mit 3 Volkssturmmännern aus Haynau bis 20 Uhr gewacht. Gegen 22 Uhr in Raupenau. 23.30 Uhr in Kotzenau zur Kreisleitung. Panzerfäuste geben lassen. Stärkerer Beschuß durch Panzer. Kreisleiter fuhr nach Bunzlau ab.

Freitag, den 9.2.1945

Gegen 24 Uhr in Polizeiverwaltung Stadt Kotzenau. Panzer in Neuhammer. Gegen 7 Uhr am Schützenhaus. 17.30 Uhr Stalinorgel-Beschuß von Kotzenau. 2 Panzer in Ziegelei. 18 Uhr nach Jakobsdorf. "Großdeutschland" wurde von Lüben über Oberau, Kriegheide, Jakobsdorf nach Richtung Primkenau zurückgezogen. (Am Sonnabend, dem 10.2., 3 Uhr, Gegner in Jakobsdorf.)

Sonnabend, den 10.2.1945

5 Uhr Einschlag von Panzergranaten in Primkenau. Bevölkerung noch nicht evakuiert. In Sorau Meldung bei Hauptmann Uschmann. Teilte Gend.-Kreisführer Nowotnick Freystadt zu. Oberleutnant Kappel, Kotzenau, und Schutzpolizeibeamte Hermann und Kalow, Sagan.

Sonntag, den 11.2.1945

Ab 10 Uhr Evakuierung. Verwaltung in Forst gesucht und nicht vorhanden. Oberbürgermeister Friedrich (Breslau) glaubte Verwaltung in Bautzen, ebenfalls NSV-Kreisamtsleiter Latusch.

Montag, den 12.2.1945

Von Forst nach Görlitz, Meldung beim Regierungspräsidenten.

Dienstag, den 13.2.1945

In Görlitz.

Mittwoch, den 14.2.1945

Von Görlitz nach Waldau-Günthersdorf.

Donnerstag, den 15.2.1945

Nach Hoyerswerda; Anordnung des des Gauleiters über Verbleib der Behörden in Niederschlesien.

Freitag, den 16.2.1945

In Hoyerswerda.

Sonnabend, den 17.2.1945

In Großenhain. Dort eingerichtete Dienststellen des Landratsamtes aufgelöst. Einzigen Volkssturmpflichtigen Volkssturm zur Verfügung gestellt. Dienststelle des Landrats nach Hoyerswerda verlegt. Besetzt mit Kreisoberinspektor Niesmack.

Donnerstag, den 22.2.1945

In den Kreis Hoyerswerda. Über Spremberg nach Muskau. M. geräumt. Beschuß auf beiden Seiten. Stadt von Bevölkerung, Behörden und Kampfkommandanten geräumt. Zu Divisionskommandeur, Oberst Lemke, Division "Hermann Göring". Gegen 4 bis 6 km von M. entfernt. Glaubt, Neiße nicht halten zu können.

Freitag, den 23.2.1945

Beginn Durchführung des Erlasses des Reichsverteidigungskommissars betr. Auflösung der Landratsämter. Nach Aufheben des Erlasses Bericht an den Herrn Regierungspräsidenten in Görlitz.

Sonnabend, den 24.2.1945

Ab 24.2. mit Regierungsrat Korte im Kreis Hoyerswerda

Unterschrift: Bourwieg


Quelle: Lübener Heimatblatt 2 und 4/1970