Anstaltskapelle unter Leitung von Oskar Bürger
Evangelischer Kirchenchor














Anstaltskapelle unter Leitung von Oskar Bürger

Die Anstaltskapelle unter Leitung von Oskar Bürger
Mit einem herzlichen Dank für das Foto an Uwe Aust! Sein Großvater, Pfleger Erich Sucker, ist in der oberen Reihe links zu sehen, rechts außen wahrscheinlich Oskar Bürger. Wer erkennt weitere Mitglieder der Kapelle? Auch das Aufnahmejahr ist noch unbekannt. Ebenso ist unklar, welcher Zusammenhang zwischen diesem Orchester der Heilanstalt und der Vereinigung der Lübener Musikfreunde besteht, die Alfons Rausche im folgenden Artikel würdigt. Ich bitte die älteren Besucher meiner Seiten herzlich um ihre Mitwirkung! Freuen Sie sich doch über das Interesse der nächsten Generationen und vermitteln Sie uns Ihr Wissen! Wer hier liest und schaut, sollte bitte auch an der Bewahrung von Erinnerungen mitwirken. Heidi



Geschichte der Vereinigung "Lübener Musikfreunde"

Der Ausgang des Krieges hat auch die ehemaligen Angehörigen der Vereinigung "Lübener Musikfreunde" in alle Winde verstreut. Da aber gerade diese Vereinigung, geboren aus reinem Idealismus, einen im Lübener Kulturleben nicht mehr wegzudenkenden Faktor der "glücklichen 1920er Jahre" darstellt, mögen die nachfolgenden Ausführungen dazu dienen, den mühsamen Werdegang und schließlich den Aufstieg der Vereinigung dem Vergessen zu entreißen. Dabei soll auch der verdienten Männer gedacht sein, die sich in uneigennützigem Einsatz für die Förderung dieses Klangkörpers einsetzten.

Wie fing es denn an? Es mag etwa im Jahre 1920 gewesen sein, als der Lübener Turnverein unter Leitung seines "Allround-Mannes", des Schneidermeisters Paul Ernst, wieder einmal einen Theaterabend veranstaltete; ich glaube, es war die vieraktige Aufführung von "Heimkehr". Als humoristische Einlage zwischen den Akten trat eine "Damenkapelle" als "Kapelle Edelweiß" in Stärke von vier Personen auf, besetzt mit zwei Geigen, Cello und Klavier. Es handelte sich dabei um Turner in bayerischer Dirndlverkleidung. Gespielt wurden mehrere wohlklingende Musikstückchen - zugegeben: mehr schlecht als recht! Aber jede Entwicklung nimmt nun einmal ihren Anfang, so auch hier!

Der gutmütig gespendete Applaus des voll besetzten Saales und der Mutzuspruch der damals maßgebenden Männer des Turnvereins (Ernst, Härtel und andere Bürger) gab den jungen Dilettanten den Auftrieb zu dem Beschluß, von nun an auch weiterhin zusammenzubleiben und den noch kümmerlichen Klangkörper zu den "Lübener Musikfreunden" zu erweitern. Neben emsigen regelmäßigen Proben setzte nun mit Unterstützung von Freunden eine rege Werbetätigkeit unter den Musikbeflissenen der Stadt ein. Und siehe da! Das Häufchen wurde zusehends größer. Von dem Zustrom zu den Aktiven sollen hier erst einmal genannt sein die Turnbrüder und Musikfreunde Alfred Scholz; Max Ernst, Eisenkaufmann; Karl Ernst, Lehrer; Postangestellter Göbel; Kreisangestellter Röhrich, Mallmitz; Erich Maiwald, Schuhmacher; Scholz, kaufmännischer Angestellter; Fahrradhändler Günzel; Fritz Williger, Berufsmusiker: Flötist; und Hans Müller, Sohn des Musiklehrers und selbst Organist.

Die musikalische Leitung wurde in die Hände des damals noch recht jugendlichen Verfassers dieser Erinnerungen gelegt. Er hatte inzwischen von seinem Hauptinstrument Klavier auf Cello "umgesattelt", um dem Klangkörper neben der klanglichen Füllung auch ein visuell volleres Bild bei der Orchesteraufstellung zu geben. Eine besondere Freude und ein ganz großer Erfolg war die Erwerbung des Musikgenies Oskar Bürger (Pfleger der Heilanstalt) als Universal-Musikus. Darüber noch an weiterer Stelle ein besonderes "In memoriam Oskar Bürger".

In den ersten Jahren nach der Gründung wurden die Musikproben regelmäßig in den Wohnungen der Musikfreunde abgehalten. Inzwischen mußte auch eine Verteilung nach dem Stimmenerfordernis vorgenommen werden. Musikfreund Maiwald wurde Streichbassist (später Karl Ernst). Wenn man an seiner Hausecke vorbeiging, hörte man auch aus den Wohnungen der anderen Musikjünger zu jeder Tages- und Abendzeit fleißiges Üben der Stücke, die für die nächste Probe festgelegt waren. Mittlerweile war an den Probeabenden ein ganz schöner "Krach" aus den Wohnungen zu vernehmen, aber keine Beschwerde oder Anzeige lief ein! Unsere Lübener waren begeisterte Zuhörer und brachten Verständnis entgegen. Eines Abends erschien zur Probe sogar der Hausbesitzer, Bäckermeister Kassner, Liegnitzer Straße 9, und brachte jedem der "Problinge" zur Erfrischung eine Flasche Bier, dazu noch anerkennende Worte. Das war Lüben, wie es singt und musiziert.

Inzwischen hatte die Musikvereinigung in ihrem Können anerkennenswerte Fortschritte gemacht und konnte an selbständige öffentliche Konzertabende denken. Dabei kamen beachtliche Piecen zu Gehör. Glanznummern waren u. a. Ouvertüren, wie z. B. "Wilhelm Tell" von Rossini, weitere von Paul Linke, von Eilenburg u. a.; ferner die "Slawischen Tänze" von Dvorak, die "Ungarischen Tänze" von Moczkowski, weiter Fantasien, Walzer, Intermezzi und Streichquartette; gelegentlich waren auch Soli zu hören: Serenade von Titl für Cello und Flöte (Solisten Williger und Rausche), für Tubus campanaphon über die Fantasie "Lang ist es her" von Dittrich (Solist Rausche) u. a. mehr.

Die Kräfte der Vereinigung hatten inzwischen durch wirklich intensives Üben eine beachtliche instrumental-technische Vervollkommnung erreicht, so daß selbst unser beliebter Kantor Kornetzky (wohl der beste Dirigent und Musiker, den seinerzeit Lüben in seinen Mauern beherbergte) bei Oratorien gern auf die Kräfte der Lübener Musikvereinigung zurückgriff, wenn auch sein Klangkörper sich vorwiegend aus Mitgliedern der Liegnitzer Stadtkapelle und den Militärmusikern der Stadt Lüben zusammensetzte.

Ein besonderer Abschnitt sei hier dem von mir hochverehrten Musikfreund Oskar Bürger gewidmet.

Oskar Bürger war gelernter Musiker und ging - soweit ich mich erinnern kann - aus der Stadtkapelle Haynau hervor. Er war mit einer erstaunlichen musikalisch-technischen Vielseitigkeit begabt, wie man sie nur ganz selten unter Musikern findet. Bei uns in der Vereinigung mußte er immer einspringen, "wo es fehlte". Man wußte nicht: war er Flötist, Bassist, Posaunist, Trompeter, oder was war sein Hauptinstrument? Z. B. brauchten wir zur "Tell"-Ouvertüre eine kräftige Unterstützung der Bassgänge, so blies er Posaune. Ebenso bei anderen Gelegenheiten blies er Flöte, Oboe oder bediente den Streichbaß, gleich was es war. Als besonderes Kuriosum soll hier noch erwähnt werden, daß er an der rechten Hand nur vier Finger hatte; der Zeigefinger fehlte infolge eines Unfalles in der Jugendzeit. Durch unermüdliches Training hatte er erreicht, daß er durch "Handversetzung" mit dem kleinen Finger der rechten Hand sowohl das d-Loch als auch die "Klappe" gleichzeitig auf der Flöte bediente. Für den Fachmann unwahrscheinlich! Trotzdem machten ihm selbst die Variationen bei "Notenfressern" keine Schwierigkeiten. Gelegentlich eines Oratoriums bediente er als alleiniger Streichbassist die Baßpartie, gemeinsam mit mir als Cellist. Der persönliche Sonderdank des von uns allen geachteten Kantors Kornetzky am Ende der Aufführung war ihm wohl die schönste Auszeichnung. Ich habe sie ihm gern gegönnt. Er war in diesem schwierigen Werk mit Rezitativen und Passagen der "rocher de bronce".

Daneben hatte er ein sehr nettes verbindliches Wesen, was uns Veranlassung gab, ihn mehrfach zu unserem Vereinsvorsitzenden zu wählen. Auch diese Aufgabe hat er vorbildlich gelöst, auch dann, wenn es hieß, besonders heftige Kampfhähne wieder einmal "auseinanderzuraufen". Ein wunderbarer Mensch! Requiescat in pace!

Im Jahre 1930 feierte die Musikvereinigung, die inzwischen auf rund 25 Mann angewachsen war, ihr 10jähriges Bestehen. Inzwischen hatte die Zusammensetzung des Klangkörpers durch den Weggang einerseits und Zuzug andererseits nicht unwesentliche personelle Veränderungen erfahren. Ein erheblicher Bestand an vereinseigenen Instrumenten war angewachsen, ein Repertoire von mehreren hundert Piecen war Vereinseigentum geworden.

Es war eine schöne Zeit in dem musikfreudigen und dankbaren Lüben. Mögen diese Ausführungen alles Schöne dem Vergessen entreißen.

(Vorstehende Zeilen sind aus dem Gedächtnis aufgeschrieben. Es ist daher möglich, daß hier und da jemand vergessen wurde, der sich in gleicher Weise um die "Lübener Musikfreunde" verdient gemacht hat, wie es bei den genannten Männern der Fall war.)

Alfons Rausche (1903-1968) in LHB 24/1964

Anstaltskapelle unter Leitung von Oskar Bürger