Kolonialwarenhändler Willy Kirchner und Familie
Erinnerungen von Rudolf Kleindienst














Der Name Kirchner kam häufiger in Lüben vor. Am Ring nahe dem Hotel Grüner Baum führten Emil und Minna Kirchner ihren Laden für Weißwäsche und Wollwaren als Nachfolger von Emilie Kirchner. Von ihrer Tochter Gertrud ist ein handgeschriebener Lebenslauf überliefert. Im Adressbuch 1927 wird Bäcker Paul Kirchner - ohne Adresse - genannt. 1940 möchte Bäcker C. Kirchner im Liegnitzer Tageblatt seine Bäckerei in der Steinauer Straße 9 verpachten. Mehrere alte Ansichtskarten hat der Verlag Friedrich Kirchner herausgegeben und auf einer Kunstpostkarte hat A. Kirchner 1909 das sogenannte "Mannschießfest" zeichnerisch dargestellt.

Auf Willy Kirchner wies mich Werner Merz erst 2019 in einem Gästebuch-Beitrag hin. Als eine entfernte Lübener Verwandte im 89. Lebensjahr starb, hatte er die Möglichkeit, die nachgelassenen Dokumente und Fotos zu sichten und gewann dabei überraschende Erkenntnisse. Darüber ist im zweiten Teil dieser Seite zu lesen.

Beginnen wir mit dem Kolonialwarenladen von Willy Kirchner in der Liegnitzer Str. 32. Die beiden Fotos sind zu verschiedenen Zeiten aufgenommen worden und zeigen - auch im Vergleich mit einer viel älteren Aufnahme - dass Willy Kirchner den Laden nach seinen Bedürfnissen umgestaltete.

Im Jahr 1928 heiratete Willy Kirchner die aus Altenburg stammende Johanna geb. Schneider.

Links vorn neben der Braut Mutter Schneider, hinter ihr Tochter Hedwig verh. Sammer mit Söhnchen Edgar geboren im Februar 1928. Neben ihr vermutlich ihr Ehemann Paul Sammer, Gertrud Schneider, Helene Merz geb. Schneider und vermutlich Herbert Schneider. Der junge Mann links im Bild und die Kinder im Vordergrund sind unbekannt.
Auf dem Hochzeitsfoto deutet sich auch die Beziehung des Einsenders Werner Merz zu dieser Familiengeschichte der Kirchners an! Seine Großmutter Helene Merz und Johanna Kirchner waren Schwestern!

1930 Willy und Johanna Kirchner mit Töchterchen Charlotte!

Charlotte als Zehnjährige mit den Eltern.

Am 27. Januar 1945 flüchteten Willy und Johanna Kirchner mit einem kleinen Handwagen aus Lüben. Alles andere, was sie sich geschaffen hatten, mussten sie zurücklassen. Ihr Ziel war, "bis zur Rückkehr nach Lüben" in Altenburg im Wohnhaus der Familie Schneider unterzukommen, in dem zu diesem Zeitpunkt noch Johannas Schwester Charlotte wohnte. Es sollte keine Rückkehr mehr geben. Ein Jahr später bezogen sie eine Wohnung in Gößnitz. Willy Kirchner arbeitete "als Bauchladenverkäufer" für die HO, die staatliche Handelsorganisation der DDR. Anfangs wurde er vorwiegend auf dem Gößnitzer Bahnhof ("längster Bahnsteig Deutschlands") eingesetzt. Im Alter von 65 Jahren übernahm er einen Kiosk in der Innenstadt.

Johanna führte eine Art Tagebuch, in dem sie alle wichtigen Ereignisse festhielt. Wann sie verstorben ist, ist nicht bekannt. Aufzeichnungen von ihr reichen bis in die 1950er Jahre. So erfahren wir auch, dass die ehemalige Lübener Lehrerin Anna-Maria Strack sie mehrfach besucht hat

Die letzten Nachrichten über Willy Kirchner erschienen 1960 im Lübener Heimatblatt. Kurz nacheinander lesen wir dort die Glückwünsche zu seinem 70. Geburtstag und die Mitteilung von seinem Ableben.


Im Mai 1995 erschien im Altenburger Heimatkurier der folgende Artikel über die Entstehung und Entwicklung der HO,
der staatlichen Handelsorganisation der DDR. Darin wird auch unseres Willy Kirchner gedacht. Sehen Sie sich das Foto
an und vergessen Sie nicht, dass dieser Mann zehn Jahre zuvor einen eigenen Lebensmittelladen geführt hat... Nun soll er vom Bauchladenhändler zum Kiosk-Betreiber aufsteigen. Was für Schicksale hat der Krieg über die Menschen gebracht!


Aufmerksamen Lesern wird der Name dieser Seite aufgefallen sein... kirchner_schumann... Dafür soll es nun endlich die Erklärung geben! Charlotte Schumann (1930-2019) und Werner Merz sind Enkel von Familien, deren Wege sich kreuzten, als Willy Kirchner seine spätere Ehefrau Johanna Schneider kennenlernte. Frau Johanna wurde 1893 geboren. Sie hatte sechs Schwestern und einen Bruder. Der Vater, Gustav Ernst Schneider, wurde 1857 in Altenburg geboren, war Weißgerber von Beruf und lebte eine Zeitlang in Lüben. 1886 heiratete er in Petschkendorf Amalie Ernestine Nollain aus Fauljoppe. Zur Silberhochzeit der beiden stifteten die (Schwieger-) Eltern den Silberschmuck, der von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Ihre älteste Tochter, Helene Amalie Schneider, die spätere Großmutter von Werner Merz, wurde 1887 in Lüben geboren. Später lebte Familie Schneider wieder in Altenburg. Damit hatten die Lübener 1945 ein Ziel für ihre Flucht aus Schlesien...

Familie Schneider um 1907: Vater Gustav Ernst Schneider und Mutter Amalie Ernestine geb Nollain. Links hinter dem Vater Helene, rechts hinter dem Vater Hedwig, die anderen Geschwister von links nach rechts: Margarete, Gertrud, Elisabeth, Edgar, Johanna und Charlotte.

Wohnhaus der Familie Schneider in Altenburg, Bachstr. 6

Altenburg, 26.6.1908
Frau
Elfriede Nollain
Lüben i. Schlesien
Bleicherdamm 5

Meine liebe Mutter, von ganzem Herzen gratulieren wir zu Deinem Geburtstag, wünschen, daß der liebe Gott Dir möge Gesundheit schenken. Es wird Dir zwar ein sehr betrübter Tag sein, da Dir Dein Liebstes, was Du noch hattest ja auch noch entrissen wurde, aber betrübe Dich nicht so, es ist Gottes Wille und er richtet doch alles zum besten.

Nehmt beide herzliche Grüße von Euren Lieben. Daß es Herr Schneider überstanden hat, ist ja Gott zu danken, wie geht es nun im Haus? Auf dem Bild ist Hedwig, Gertrud und Gretchen.

Diesen Silberschmuck trugen die Silber-Brautleute der Familie Schneider-Nollain. Die Enkelin Charlotte heiratete 1952 den Altenburger Bäckermeister Heinz Schumann. Die beiden haben keine Nachkommen. So endet mit ihnen die Linie Schumann.




Aber weil Charlotte all die Fotos, Dokumente und Wertgegenstände bewahrt hat, erinnern sie uns heute an mehrere Lübener Familien! Danke allen Beteiligten für ihre Mitwirkung an dieser Seite!

Charlotte 1940

Charlotte und Heinz Schumann 1952