Warum mein Großvater nach Niederschlesien kam














Die Abstimmung über die Zugehörigkeit Oberschlesiens
am 20. März 1921

Nach dem Ersten Weltkrieg sollten nach dem Versailler Vertrag Teile des Grenzverlaufs zwischen Polen und Deutschland per Volksabstimmungen geregelt werden. Zwischen Kriegsende und Abstimmung kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen polnischen Einwohnern, die den Anschluss an Polen forderten, und deutschen Polizeieinheiten sowie Freikorps. Wojciech Korfanty war der Organisator der polnischen Aufstände in Oberschlesien, die den Anschluss Oberschlesiens an Polen zum Ziel hatten. Die polnischen Freikorps (Polska Organizacja Wojskowa Górnego Slaska) lösten am Morgen des 17. August 1919 in Paprotzan, Landkreis Pleß (heute Pszczyna in Polen), einen Aufstand aus, der durch die Korps der Schwarzen Reichswehr, u.a. der Brigade von Hermann Ehrhardt, in den Kämpfen um Oberschlesien niedergeschlagen wurde. Das Gebiet wurde nun durch eine Kommission der Alliierten verwaltet und Korfanty mit der Organisation der Volksabstimmung beauftragt. Das Polnische Plebiszitskommissariat hatte seinen Sitz in Beuthen (Oberschlesien), wo sich im Hotel Schlesischer Hof die Zentrale des unter der Tarnbezeichnung Verband ehemaliger Kriegsgefangener firmierenden Korfantyschen Freikorps befand.

Die Sicherheitslage in Oberschlesien wurde immer unstabiler und Terror und Gegenterror beherrschten das Geschehen. So wurde kurz vor dem Ausbruch des 2. Korfanty-Aufstandes (am 20. August 1920) von deutschen Nationalisten ein misslungener Mordversuch auf Józef Rymer, den polnischen Unterhändler der Pariser Oberschlesienkonferenz, Abgeordneten der polnischen Nationalversammlung und Vertreter des polnischen Plebiszitkommissars, verübt. Kurz danach (am 20. November 1920) wurde von den polnischen Nationalisten der ehemalige Weggefährte und spätere Leiter des Bundes der Oberschlesier, Theofil Kupka, ermordet. Um die Spannungen zwischen den Volksgruppen zu beenden und die Lage in Oberschlesien zu stabilisieren wurde für den 20. März 1921 die Volksabstimmung (Plebiszit) festgelegt. Im Vorfeld bemühten sich sowohl die deutsche wie die polnische Seite mit allen Mitteln darum, die Stimmberechtigten für sich zu gewinnen. Während die Polen an eine vermeintliche gemeinsame slawische Vergangenheit erinnerten und materielle Vorteile versprachen (bekannt wurde z.B. die so genannte "Korfanty-Kuh"), beschworen die Deutschen ein angeblich drohendes polnisches Chaos und einen Verfall der Wirtschaft herauf.

Die Aufsicht durch das alliierte Truppenkontingent und die Abstimmungspolizei ermöglichte eine verhältnismäßig sichere Stimmabgabe, zu der auch in 250 Sonderzügen etwa 180.000 in Oberschlesien geborene Deutsche herbeigereist kamen. Am Abstimmungstag stimmten - bei einer Wahlbeteiligung von 97,8 Prozent - 707.554 (59,6 Prozent) Oberschlesier, darunter also auch viele, die in Volkszählungen Oberschlesisch bzw. Polnisch als Muttersprache angegeben hatten, für Deutschland und 478.820 (40,4 Prozent) für Polen. Konfanty setzte jedoch auf eine gewaltsame Lösung und löste in der Nacht vom 2. zum 3. Mai 1921 den dritten Aufstand aus. In den Kämpfen am St. Annaberg schlug der aus deutschen Freikorps gebildete Selbstschutz Oberschlesien (SSOS) mit Unterstützung der Alliierten am 21. Mai 1921 die Freischärler Korfantys endgültig.

Aber die Abstimmung wurde zur Farce. Denn Oberschlesien wurde trotzdem anschließend - entgegen dem Versailler Vertrag und im Widerspruch zum Ergebnis der Abstimmung - auf Beschluss des Völkerbundes geteilt. Sein östlicher Teil mit den Kohle- und Eisenerzvorkommen wurde Polen zugeordnet. Der westliche Teil Oberschlesiens blieb bei Deutschland. (Ein Teil des Kreises Ratibor, das so genannte Hultschiner Ländchen, war bereits mit Inkrafttreten des Versailler Vertrages am 10. Januar 1920 an die Tschechoslowakei gefallen.)

Diese und die anderen Gebietsabtretungen stellten für die Deutschen eine politische und psychologische Demütigung und außerordentliche wirtschaftliche Härte dar und ermöglichten einem Diktator den Wunsch nach Revanche in die Herzen der Deutschen zu pflanzen. Der Kartenausschnitt zeigt die neuen Grenzen Deutschlands und Polens. Am linken Bildrand ist Leobschütz zu sehen. Östlich davon der abgetrennte Teil Oberschlesiens. Südlich das Hultschiner Ländchen. (Die ehemaligen Grenzen von vor 1921 sind mit roten Punkten gekennzeichnet.)

Diese Ereignisse müssen den Oberschlesier Konstantin Moch, der gewiss an der Abstimmung teilgenommen hatte, schwer erschüttert haben. Er verlor also schon 1921 einen Teil seiner Heimat Oberschlesien. Ich bin sicher, dass er das als schreiendes Unrecht empfand. Er war in den Krieg geschickt worden, hatte sein Leben - wie er es empfand - für Deutschland eingesetzt und nun das! Wenn er sich auch keinesfalls noch einmal einen Krieg wünschte, so blieb in ihm doch der Wunsch nach Wiederherstellung der alten Grenzen lebendig. Damals muss die Ablehnung "der Polen" durch meine Großeltern ihren Anfang genommen haben.

Ich kann und will im Streit um dieses Stück Erde nicht für die eine oder andere Seite Partei nehmen. Der Konflikt um Oberschlesien ist für mich ein weiteres Beispiel dafür, wie machthungrige Politiker Millionen Menschen mittels einer gezielten Propaganda reif für den nächsten Krieg machen können.