Meine Großmutter Gertrud geb. Stein (1892-1977)














Louise Stein war 31 Jahre alt, als sie mit Hilfe der Hebamme Johanna Marhurich aus dem Nachbarort Neudorf ihr siebtes Kind zur Welt brachte. Drei Tage später meldete die Hebamme dem Standesbeamten in Wilhelmsdorf die Geburt von Hedwig Gertrud Stein und er verfasste die Geburtsurkunde. Sie ging in den Wirren der Flucht aus Schlesien verloren. Hundert Jahre später gelang es mir, eine Abschrift der Urkunde vom zuständigen polnischen Standesamt zu erhalten.

Vermutlich besuchte Gertrud eine evangelische Volksschule. Sie beherrschte sicher die biblischen Geschichten, Lieder und Gebete, sang mit Hingabe Kinder- und Volkslieder bis zur letzten Strophe und hatte keine Probleme mit der deutschen Rechtschreibung. Sie kannte Sprichwörter und Bauernregeln und lernte alles von ihrer Mutter, was eine gute Hausfrau ausmachte.

Ein handschriftliches Blatt ist das erste Dokument aus dem Leben meiner Großmutter: Ihr Eintrag ins Poesiealbum einer ihrer Schwestern vom 8.1.1906. Es handelt sich um die letzten 4 Verse des Liedes "Trost am Grabe" von Johann Heinrich Voss (1751-1826) und einer Poesiealbum-Weiterdichtung, die sie wohl als 14jährige nicht so ganz richtig verstand und deshalb fehlerhaft aufschrieb.

Foto von Gertrud Stein von ca. 1912

Wie mögen sich Konstantin Moch aus Leobschütz und Gertrud Stein aus Gröditzberg kennengelernt haben? Ist das erste Foto, das es von Gertrud Stein gibt, aus dieser Zeit? Hat sie sich beim Fotografen Adolf Rehnert in Löwenberg für ihren Liebsten aufnehmen lassen? Wahrscheinlich... Das wunderschöne Kleid! Die Rosen... Ich bin überzeugt davon, dass Gertrud dieses Foto ihrem geliebten Konstantin um 1912 geschenkt hat.

Geburtsurkunde der Gertrud Hedwig Stein

"Geburtsurkunde Nr. 2/1892,
Wilhelmsdorf, am 13. Januar 1892.
Vor dem unterzeichneten Standesbeamten erschien heute, der Persönlichkeit nach bekannt, die Hebamme Johanna Marhurich geb. Finger, wohnhaft in Neudorf am Gröditzberg, und zeigte an, daß von der Louise Stein, geb. Bunzel, Ehefrau von Herrmann Theodor Stein, beide evangelischer Religion, wohnhaft zu Obergröditz am 10. Januar 1892 am Vormittag ein Kind weiblichen Geschlechts geboren worden sei, welches die Vornamen Hedwig Gertrud erhalten habe.
Vorgelesen, genehmigt und unterschrieben: Johanna Marhurich, geb. Finger. Der Standesbeamte Jäkel, Wilhelmsdorf, am 13. Januar 1892"

Poesiealbumeintrag von Gertrud Stein für ihre Schwester


Hier der (leicht korrigierte) Text:

O laßt Gottes Weg uns wandeln,
Immer gut und redlich handeln,
Daß wir, ruft der Vater nun,
Fröhlich hingehn auszuruhn!
Jeder Tag, er ist vergebens,
Ist im Buche deines Lebens
Nichts, ein unbeschriebnes Blatt.
Wohl, wenn morgen so wie heute
Steht darin auf jeder Seite
Von dir eine gute Tat.

Dies schrieb zur steten Erinnerung
deine dich treuliebende Schwester
Gertrud Stein
Gröditz, d. 8.1.06