1945: Die Russen kommen!














Die sowjetische Armee hatte Mitte Januar 1945 bei Steinau einen Brückenkopf gebildet, von dem aus sie schließlich am 24. Januar die Oder überquerte. Der Fluss war das letzte Hindernis vor dem unaufhaltsamen Vormarsch nach Berlin. Von Steinau nach Lüben waren es nur ca. zehn Kilometer. Trotzdem warten die Verantwortlichen noch zwei Tage, ehe sie den Einwohnern Lübens reinen Wein einschenken und sie zum Verlassen der Stadt auffordern.

Vom Balkon der Stadtapotheke, schräg gegenüber der Eisenhandlung Moch, verkündet der NSDAP-Kreisleiter Alfred Jonas am Freitag, dem 26. Januar 1945, den Evakuierungsbefehl. Seine Worte werden vom Artilleriefeuer aus Richtung Steinau begleitet. Großvater Konstantin Moch ist seit drei Tagen beim Volkssturm. Großmutter Gertrud Moch hat den Laden offengehalten. Meine Mutter ist mit den beiden kleinen Kindern und ihrer Angst vor den Luftangriffen und dem Vormarsch der Russen allein.

Am Sonnabend, dem 27. Januar 1945, fliehen die Menschen mit den wenigen Eisenbahnzügen, zu Fuß, mit Leiterwagen und motorisiert in Richtung Westen. Schneetreiben und eisige Kälte herrschen. Der Schnee liegt einen halben Meter hoch. Meine Großmutter und meine Mutter können sich immer noch nicht zur Flucht entschließen.

Am Abend ist MG-Feuer aus der Steinauer und der Bismarckstraße zu hören. Der Flugplatz Lüben wird von der Wehrmacht in die Luft gesprengt. Das entspricht Hitlers Politik der verbrannten Erde, des "Alles oder Nichts". Sein Befehl vom 19. März 1945 ist als "Nerobefehl" in die Geschichte eingegangen: "Alle militärischen, Verkehrs-, Nachrichten-, Industrie- und Versorgungsanlangen sowie Sachwerte innerhalb des Reichsgebiets, die sich der Feind für die Fortsetzung seines Kampfes irgendwie sofort oder in absehbarer Zeit nutzbar machen kann, sind zu zerstören."

Die elektrische Stromversorgung bricht zusammen. Erst in dieser Nacht beschließen die beiden Frauen, die Stadt zu verlassen. Sie packen ein paar Habseligkeiten in die beiden Kinderwagen, ein paar Fotos, Bestecke, warme Bekleidung, Windeln, ein paar Lebensmittel. Am nächsten Morgen verschließt Großmutter die Wohnung und den Laden und versteckt die Schlüssel sicher unter der Matratze im Kinderwagen. Wir dürfen doch die Schlüssel nicht verlieren... In ein paar Tagen sind wir wieder hier! Am nächsten Morgen eilen die beiden Frauen zum Bahnhof, um noch einen Zug in Richtung Liegnitz zu ergattern.