Großvaters Feldpostbrief Nr. 2 aus dem Jahr 1945














Feldpostbrief Dahme, Krs. Liegnitz 6.2.45

Meine liebste Mama, Ursel und Kinder!
Ich hoffe, daß Du ein Lebenszeichen
von mir inzwischen erhalten hast.
Leider weiß ich nicht, wo Du Dich
mit den Kindern befindest. Was
mögt Ihr nur schon alles erlitten
haben. Es ist zu schrecklich, daß ich
Euch bei der Flucht nicht helfen
konnte. Wie haben wir dies nur
verdient, daß es uns jetzt so gehen muß.
Wenn ich Euch nur einiger-
maßen geborgen wüßte, dieser
Gedanke peinigt mich zu sehr. Wie
schön der Gedanke, daß wir uns so
geliebt und verstanden haben. Ich
bin mit allen Fasern meiner Gedan-
ken nur bei Euch. Was wir schon
alles erlebt haben, ist auch schrecklich,
haben schon Tote, Verwundete und
Vermißte. Eine Kompanie ist ganz weg.
Hoffen wollen wir nur, daß wir

Feldpostbrief uns Alle wiederfinden. Habe auch
schon nach Görlitz geschrieben, da ich
Euch dort evtl. vermute. Wie es in
Lüben zugeht und gegangen ist,
haben wir gehört, diese 3x verfluch-
ten Bonzen. Wenn ich so das Elend
in den Orten, in denen wir schon
waren, sehe, kann ich mir ein Bild
von Lüben machen. Alles ist von den
Bewohnern verlassen, das Vieh ist
in den Ställen und schreit. Schübe,
Schränke usw. sind durchwühlt und
alles zerstreut, denn Teile unserer
Soldaten hausen schlimmer als die Russen.
Zur Zeit ist es hier etwas ruhiger
geworden, hoffentlich hält es an.
Jedenfalls kann ich Euch mitteilen,
daß ich munter und gesund bin, bis
auf die schreckliche Sehnsucht nach Euch.
Zum schlafen kommt man wenig.
Ich habe ein altes Sofa, aber so geht
es schon. Nur denke ich stets an Euch.
Feldpostbrief Wie es Euch gehen mag und Ihr gewiß
unter der Verpflegung leiden möget.
Essen haben wir bisher genug, d. h. man
kommt ganz gut aus.
Leider haben wir noch keine Feldpost-
nummer, hoffe aber, daß es nicht mehr
lange dauern wird. Wir liegen, wie
Du siehst, in Dahme, Krs. Liegnitz. Rogau,
wo wir die ersten Tage waren,
haben wir am 27.1. verloren und
sitzen jetzt die Russen drin, auch in
Koitz waren wir, jetzt auch die Russen.
Hoffentlich schaffen wir es, daß sie
nicht weiter kommen.
Ich schrieb gestern wieder an Emma.
Diesen Brief nehmen mir die Leute
(Gutsbesitzer Stiller), in deren Besitzung
wir sind, mit bis Pahlowitz. Dort sind
die Bewohner von Dahme und zwar
im Gut. Von da kommen die Leute
öfter mit dem Rade nach hier, um
sich noch etwas zu holen. Es bestünde
Feldpostbrief die Möglichkeit, einen Brief auf diesem
etwas ungewöhnlichen Wege zu er-
halten. Wenn dies möglich wäre, so
wäre ich überaus froh. Leider können
wir privat nicht telefonieren, haben
nur Verbindung zu den Gefechtsständen
unter sich. Gestern waren es nun
schon 14 Tage, daß wir uns trennen
mußten. Ich denke soviel an Dich,
Ursel und die Kinder. Hat Ursel von Schorsch*
Nachricht? Wie ich Dir diese Zeilen zu-
stellen soll, weiß ich nicht. Aber ich
hoffe, daß Du sie bekommst. Ich denke,
ich schicke diese an Lottel, vielleicht
weiß sie, wo Ihr steckt.
Für heute, meine liebste Mama, sei
herzlich gegrüßt mit tausend inni-
gen Kußln an dich, Ursel und Kinder. Was
macht Heidi und Gabi? Das arme kleine
Ding muß so etwas erleben. Es war
doch damals so bitter kalt.
Also gute Nacht. Schlaft gut und denkt
an Euren Papa und Opa. Euer
Euch liebender Papa

*Ursel=Tochter Ursula, Schorsch=Schwiegersohn Georg