Großvaters Feldpostbrief Nr. 10 aus dem Jahr 1945














Feldpostbrief O.U.* den 12.3.45
* Ohne feste Unterkunft

Meine liebste Mama!
Leider war es mir seit 7.3.
nicht möglich zu schreiben, d. h. ich
hatte weder Zeit noch Gelegenheit.
Seit Sonnabend befinden wir uns
nicht mehr in Streckenbach, sondern
in Bernsdorf bei Münsterberg. Wir
rückten dort früh 4 Uhr ab und wa-
ren gegen Mittag hier, sind also
ca. 100 km weiter von Euch ab-
gerückt. Lieber war es mir, wir
wären so Nahe an Lüben. Wenn
nur erst diese Zeit mal da wäre.
Man lebt wie ein Zigeuner.
Der Gedanke jedoch, auch einmal
wieder zu meinen Liebsten zu-
rückkehren zu können, tröstet mich.
Morgen sind es nun 7 Wochen,
daß ich Euch verlassen mußte.
Ich habe aber das Gefühl, daß es

Feldpostbrief so nicht mehr lange dauern
kann, denn die Ernährung kommt
dann in Schwierigkeiten. Auch bei
uns macht es sich bemerkbar, trotz-
dem diese immer vielleicht noch
besser ist als bei Euch. Rauchwaren
bekommen wir keine mehr,
was wir alle bedauern. Übrigens
liebste Mama, ehe ich vergesse. Falls
du nicht vergessen solltest und noch
ein Bild hast, lege es bitte mal bei,
damit ich Euch hier habe. Ich wollte
Dich schon in jedem Briefe darum bit-
ten, vergaß aber immer daran. Ges-
tern Sonntag waren wir in Glatz
Benzin laden. Ich hätte nicht geglaubt,
diese Gegend im Krieg sehen zu
müssen*. Wir fuhren von Streckenbach
über Hohenfriedeberg, Freiburg, Schweid-
nitz, Reichenbach, Frankenstein nach
Münsterberg. Ich dachte viel an die

* Er stammte doch aus Oberschlesien!

Feldpostbrief Fahrt, welche ich auf dieser Straße
auch nach Leobschütz* machte. Gestern
fuhren wir über Kamenz, Wartha
nach Glatz und zurück. Munter bin
ich Gott sei Dank noch und hoffe dies
auch von Dir und Allen. Liebste Mama,
Du kannst Dich doch gewiß an den Dr.
Schwiedler aus der Anstalt erinnern,
der große Herr, der mal wegen Ra-
sierklingen im Geschäft war, derselbe
war doch wieder unser Bataillonsarzt beim
Volkssturm, nun hörte ich, daß er in
Dahme auch nicht mehr heraus-
kam und sich erschossen hat. Er
lag in dem Hause neben uns.
Er tut mir sehr leid, denn es war
ein netter Herr, habe viel mit ihm
gesprochen. So wird noch mancher
fehlen, von dem man nichts weiß.
Wenn ich nur erstmal Post von
Dir hätte. Deine lieben Zeilen fehlen
mir zu sehr. Hoffentlich hast Du

* Dort hatte er seinen Beruf gelernt.

Feldpostbrief meine Post alle erhalten, damit
Du wenigstens weißt, daß ich noch
da bin und wo ich stecke. Ich fahre
als Beifahrer jetzt mit einem
anderen Lastwagen mit. Es gibt
da allerhand Arbeit und rum-
sielerei und dann das schlechte
Wetter. Wie mag nur Lüben aus-
sehen, muß viel hin denken.
Herr Klingner und Holluch sind
auch noch da. Herr Holluch sieht
sehr schlecht aus, ihm fällt es sehr
schwer. Entschuldige nur die Schrift,
aber der Kuli will streiken. Ich
bin mit meinen Gedanken nur
bei Dir und allen Lieben. Was
macht Ursel, Lottel und die Kinder.
Als Ihr fort mußtet, war doch so
viel Schnee und kaltes Wetter;
daran muß ich stets denken. Wie
mögt Ihr bloß fortgekommen sein?
Für heute tausend Küsse Dir liebste Mama,
Ursel, Lottel und den Kindern,
Dein Dich liebender Papa