| - 78 - von Altgläubigen, vielleicht bis in die zweite Hälfte des Jahr-
 hunderts hinein. Wenn die Nachricht Ehrhardts, daß von Wit-
 tenberg her ein Magister Michaelis Agricola als Predigtgehülfe
 nach Lüben gesandt worden sei, wahr ist, so kann daraus der
 Schluß gezogen werden, daß die in der Stadt amtierenden
 Kleriker der alten Lehre zunächst treu blieben. Anhänger des
 neuen Kurses war Jakob Steinbrecher, der 1523 Kaplan in Lüben
 wurde323). Er war vorher Präcentor in Bunzlau und weigerte
 sich am Himmelfahrtstage 1523, die übliche Zeremonie des
 Hinaufziehens einer Christusfigur durch eine Oeffnung in der
 Kirchdecke vorzunehmen. Infolgedessen entstand im Volke eine
 lebhafte Unruhe; ein tumultierender Haufe sammelte sich in der
 Nacht vor dem Hause des Präcentors. Dieser und sein Bruder
 Johannes schlugen mit Schwertern auf die Angreifer ein, einer
 derselben wurde von Johannes tödlich verwundet. Jakob war
 bereit, sich dem Domkapitel zu stellen, entfloh aber, als ihn auch
 der Hofrichter zur Verantwortung ziehen wollte. Er wurde
 Kaplan in Lüben, heiratete später - wie übrigens auch Hirsen-
 berger - und hinterließ einen Sohn, Jonas, der in Bunzlau als
 Bäcker starb.
 Schwenckfeld blieb mit der Herzogin Anna in regem brief-
 lichen Verkehr und suchte sie durch mannigfache ausführliche Zu-
 schriften in ihrer religiösen Stellung entsprechend seiner eigenen
 Anschauungsweise zu stärken. Ihr widmete er 1534 seine Abhand-
 lung vom Gebet und die daran angeschlossene Auslegung des
 25. Psalms324), in der er gewisse Bedenken der Herzogin über
 allerlei Ärgernisse und Spaltungen auf kirchlichem Gebiet zu zer-
 streuen suchte. Vielleicht zielte er auf Vorkommnisse in der Lübe-
 ner Gemeinde, wenn er "ettlicher vngeschickt vnd ärgerlich für-
 nemen deßgleichen der andern vnverständigen vnd vnzeitigen
 eiffer tadelte" und die Fürstin mahnte, daß sie "alle geister sowohl
 als alle leerer, deßgleichen auch der leerer leben und glauben nach
 Christo vnd seinem hl. geiste, der ein geist der sanfftmütigkeit,
 der geduldt, der mildigkeitt, der demut, friede, liebe, vnd göttlicher
 wahrheit ist, and nach der frumkeit des hertzens wisse zu richten".
 Auch der 62. Sendbrief, der nach traditioneller Annahme 1538
 entstanden ist325), läßt einige Streiflichter auf die Lübener Ver-
 
 323 Das folgende nach Wernicke, Chronik der Stadt Bunzlau 1884 S. 166/7.
 324 "Vonn Gebeeth, Betrachtung vnd Außlegung des XXV. Psalms."
 Augsburg 19. Aprilis 1534. Der Durchleuchtigsten Hochgeborenen Fürstin
 vnd Frawen, Frawen Anna, geboren zu Stettin, Pommern, Hertzogin
 in Schlesien zur Liegnitz, Brigk, Loben, meiner gnädigen Frauen."
 325 Schwenckfelds Epistolar I 388 ff. LXII Sendbrieff, geschrieben
 an die durchleuchtige hochgeborne Fürstin vnd Fraw, Fraw Anna, ge-
 boren zu Stettin, Pommern, Hertzogin in Schlesien zur Liegnitz, Brigk,
 Loben. - Vom rechten Nachtmahl des Herrn 1538.
 | - 79 - hältnisse fallen. Schwenckfeld beantwortet in diesem Schreiben
 einen Brief der Herzogin, in dem sie um Belehrung bezüglich des
 Abendmahls gebeten hatte, besonders auch darüber, ob sie an den
 kirchlichen Abendmahlsfeiern teilnehmen sollte. Schwenckfeld er-
 klärte, es sei ihm zweifelhaft, ob "das auffgerichte nachtmahl des
 pfarrers", wenn es auch nach dem Zeugnis der Herzogin "ein
 fein Ansehen vnd guten schein habe", das rechte Nachtmahl sei.
 Es käme dabei weniger auf die äußere Form als auf den Geist an.
 Man müsse wissen, welche Lehre der Pfarrer vom Abendmahl
 habe, ob er auch in Bezug auf das Sakrament sagen könne: Ich
 habe es vom Herrn empfangen. Ferner sei zu beachten, worauf
 der Pfarrer die Leute beim Abendmahl weise, ob nach dem
 Himmel oder zur Kreatur. Wenn in diesen Punkten irgend ein
 Zweifel bestände, so täte die Herzogin besser, das kirchliche Abend-
 mahl zu meiden und dies um so mehr, wenn der Pfarrer auch
 Ungläubigen die Teilnahme gestatte. Sie möge sich überhaupt
 nicht in den äußeren Kirchendienst verstricken lassen, auch ihrem
 Pfarrer nicht erlauben, die durch das Blut des Herrn erlösten
 Gewissen wieder in ein neues Gefängnis der Elemente zu bringen.
 Die Herzogin hat sich konsequent des Abendmahls enthalten
 und um des willen, wie überhaupt wegen ihrer entschiedenen
 Parteinahme für Schwenckfeld, viel Anfechtung, auch von ihren
 Brüdern, den pommerschen Herzögen, erlitten326). Sie hat auch
 ohne Zweifel ihren Einfluß auf die Lübener Bürgerschaft im
 Sinne Schwenckfelds geltend gemacht. War sie doch von diesem
 ermahnt worden, dafür zu sorgen327), "daß ihre Unterthanen
 durch den lebendigen Glauben in Übung der Liebe vnd aller
 Gottseligkeit hinauf zu Christo gewiesen vnd von Christo recht
 gelehrt würden". Dazu kam, daß die Herzogin vermöge ihrer
 großen Freigebigkeit und Wohltätigkeit sicherlich einen großen
 Anhang unter dem Volk hatte. Noch in ihrer letzten Krankheit
 verteilte sie, wie bereits berichtet worden ist, "100 hungerisch
 gulden" an die Armen und ihre Dienerschaft328). Schwenckfeld
 pries sie als eine Mutter der Armen329) und wünschte330), als sie
 krank daniederlag, daß Gott "noch ein Zeit lang villen Armen
 vnd notturfftigen zu gutt noch bey lebe werdt lassen, vnd wider
 allenthalben gesund machen". Der Frau Margaretha Brauchit-
 schin schenkte sie am 20. Januar 1549 ein Haus und einen Garten
 nebst einem daranstoßenden kleinen Hause331). Am gleichen Tage
 
 326 Schwenckfeld an Frau Eißeler 1549 a.a.O.
 327 62 Sendebrief.
 328 Schwenckfeld an Frau Eißeler a.a.O.
 329 Ebenda.
 330 Trostbrief an die Allte Fürstin zu Schlesien. Wolfenbüttel
 Cod. August. Ms. 36, 2, Nr. 82.
 331  Staatsarchiv Bd. 69 S. 37 ff. Register der hinterlassenen Briefe
 des Christoph von Zedlitz.
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