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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 76/77
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prediger an neben ihm, biß das er 1531 starb, seines Alters
71 Jahr." An anderer Stelle ist nachgewiesen313), daß diese
Notiz, soweit sie Nostitz betrifft, den Tatsachen nicht entspricht.
Dieser ist nur bis 1499 als Schloßpfarrer nachweisbar und hat
vermutlich niemals an der Pfarrkirche amtiert. Stadtpfarrer
war noch 1519 der Breslauer Weihbischof Heinrich von Füllen-
stein, der am 26. Juni 1538 fast hundertjährig starb. Vielleicht
war es er oder ein anderer unbekannter Pfarrer, der Schwenck-
feld die Kirche öffnete. Übrigens begann letzterer seine Predigt-
tätigkeit erst nach seiner Rückkehr von Wittenberg im Frühjahr
1522. Bugenhagen hatte ihn dazu ermuntert. Offenbar verstand
er das Evangelium sehr wirksam zu verkündigen; von seinen
Bauern in Ossig konnte er 1524 berichten, daß sie anfingen, besser
zu werden.
Die zuverlässigste Stütze für seine Bestrebungen fand
Schwenckfeld in der Herzogin Anna von Brieg-Lüben, die seit
dem Tode ihres Gatten am 30. Mai 1521 ihren Wohnsitz nach
Lüben verlegt hatte, das ihr als Leibgedinge zugefallen war.
Schwenckfeld hatte von 1515-1518 am Brieger Hoflager geweilt
und war der jungen Fürstin schon damals näher getreten. Nun
wurden die Beziehungen zwischen beiden sicherlich sehr bald wieder
erneuert. Allerdings war die Herzogin damals noch "eine große
Bepstlerin"314), während Schwenckfeld ein begeisterter Anhänger
Luthers war. Aber bei dem wunderbaren Einfluß, den Schwenck-
feld auf andere ausübte, gelang es ihm bald, die Herzogin um-
zustimmen. Anscheinend erfolgte ihre Bekehrung noch im Winter
1521/22, nicht lange nachdem auch Friedrich II. in Liegnitz zum
Glauben gekommen war. Als Schwenckfeld im Februar 1522 in
Wittenberg weilte und dort mit Bugenhagen, dem pommerschen
Landsmann der Herzogin, Fühlung suchte, konnte er anscheinend
diesem bereits von der Sinnesänderung der Fürstin berichten.
Bugenhagen richtete 1523 an sie einen christlichen Sendbrief von
der "Summa der Seligkeit aus der heiligen Schrift"315), in dem
er sie als Glaubensgenossin herzlich begrüßte, erfreut über "das
gute Gerücht", das ihm über die Herzogin zu Ohren gekommen,
daß sie "einen Christennamen habe und eine Liebhaberin des
heiligen Evangelion unsers Herrn Jesu Christi sei". - Der
Ossiger Gutsherr weilte hinfort wohl oft auf dem Lübener
Schlosse. Dort sammelte er seine Anhänger in der Stadt zum
gemeinsamen Studium der Schrift, dort entwickelte er im kleinen

313 cf. meinen Aufsatz "Wer war der erste evangelische Pfarrer in
Lüben?" im Korrespondenzblatt des Vereins für Geschichte der evang.
Kirche Schlesiens XII, 2. Dort ist der Quellennachweis einzusehen.
314 Schwenckfeld an Frau Eißeler vor Lätare 1549. Im Wolfen-
bütteler Ms. Codex Augustian 36, 2. Brief Nr. 39.
315 "Ain christlicher sendprieff an frauw Anna geborne Hertzogin
von Stettin in Pomern zu Löben" 1523.
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Kreise seine Ideen. Vor allen Dingen aber pflegte er regen Ge-
dankenaustausch mit der edlen Fürstin, mit der ihn ein Band
tiefer geistiger und geistlicher Verwandtschaft verband.
Diese Verbindung wurde auch durch die Abwendung
Schwenckfelds von der Wittenberger Richtung, die im Jahre 1525
einsetzte, nicht gelöst. Die Herzogin schloß sich rückhaltlos dem
neuen Kurse an, den Schwenckfeld zunächst in der Abendmahls-
frage einschlug, der ihn aber je länger je weiter von den Refor-
matoren entfernte. Sie blieb ihm auch treu, als er im Februar
1529 freiwillig in die Verbannung ging, um nie mehr in seine
Heimat zurückzukehren. Auch Friedrich II. von Liegnitz stand
zunächst noch treu auf Schwenckfelds Seite, bis er 1533 in die
Wittenberger Weise einlenkte, ohne damit dem alten Freunde
seine dankbare Wertschätzung zu entziehen. Er ließ auch seine
Schwägerin in Lüben unangefochten gewähren. Infolgedessen
konnte sich in der Lübener Enklave das Schwenckfeldertum Jahr-
zehnte hindurch ungestört behaupten. Die Herzogin sorgte dafür,
daß sie Geistliche ihrer Richtung erhielt. Sie berief - vermutlich
bald nach Schwenckfelds Weggang - Georg Hirsenberger an die
Lübener Pfarrkirche316). "Er war" - wie ein Chronist berichtet -
"ein weltkluger Mann und der Frauen Herzogin geheimer
Rat"317). Die tiefe Frömmigkeit Schwenckfelds fehlte ihm. Desto
eifriger war er in äußerlichen Dingen. Er verstand es, sich ein
stattliches Vermögen zu erwerben318). Mit der Herzogin ist er
augenscheinlich bald auseinander gekommen, zumal auch sein
Wandel nicht einwandfrei war.
Wie verhielt sich der städtische Klerus und die Bürgerschaft
gegenüber der neuen Weise, die unter gelindem Druck von oben
her sich durchzusetzen begann? Darüber fehlen die Nachrichten.
Einzelnen Altaristen begegnen wir noch in reformatorischer Zeit,
so Simon Carnes bis 1527319), und Petrus Fideler bis 1535320)
an der Pfarrkirche und Stephan Scholz bis 1529321) an der Nick-
laskapelle. Vermutlich haben sie ihres Amtes ruhig weiter ge-
waltet, wurden doch noch bis 1535 einzelne Altäre mit Legaten
und Stiftungen bedacht322). Es gab also zweifellos noch Kreise

316 Ehrhardt nennt ihn fälschlich Hirschberger; urkundlich wird er
genannt in den Urkunden Rep. 3 L.B.W. 862a, 863-865.
317 Handschrift des Pastors Gottlob Kluge in Neumarkt; Staats-
archiv Rep. 135 E. 44a.
318 Schuster, Gespräche zum Friedensfest 1816, auf Grund einer
alten, vermutlich von Lazarus Pauli stammenden Handschrift.
319 Rep. 3 L.B.W. Nr. 860 4.12.1527
320 Ebenda 866 22.1.1535
321 Ebenda 770 8.1.1529
322 Zinsverschreibungen in Rep. 3 L.B.W. in größerer Anzahl
bis 1549. Legate aus den Jahren 1534 und 1535. Consignation der
Lübener Pfarrurkunden (O.A. Lüben I) S. 13 Nr. 12. (Drei Legate
für den Altar trium regum u. Joh. Bapt. in der Stadtpfarrkirche.)