| - 92 - Krankenbette -, so hatte er vorerst seine Wiederaussöhnung mit
 der Kirche zu vollziehen. Es wurde ein eingehendes Glaubens-
 examen mit ihm angestellt, und er mußte sich besonders über seine
 Auffassung des hl. Abendmahls aussprechen. Ferner hatte er
 seinen Irrtum anzuerkennen, öffentlich Abbitte zu leisten und
 nach seiner Genesung an der kirchlichen Abendmahlsfeier teilzu-
 nehmen. Wollte er sich zu alledem nicht verstehen, so war ihm
 auch in Todesgefahr das Sakrament zu verweigern, und sein
 Leichnam war auf dem Kirchhofe abseits von den übrigen Gräbern
 ohne kirchliche Ehren zu bestatten. Eine, allerdings unvollstän-
 dige, Liste auf diese Weise Wiederausgesöhnter aus den Jahren
 1560-63 im Anhange des Taufregisters beweist, daß Rosentritt
 nicht der Mann war, der solche Ordnungen nur auf dem Papier
 behielt. Unter den 33 gemaßregelten Gemeindemitgliedern befanden
 sich eine Reihe Schwenckfelder, auf die diese Prozedur in erster
 Linie zugeschnitten war, daneben Wiedertäufer, Trunkenbolde
 und andere, welche in groben Sünden gelebt hatten.
 Das rigorose Vorgehen Rosentritts rief in der Lübener Ge-
 meinde eine tiefgehende Erregung hervor. Die maßgebenden und
 einflußreichen Kreise der Stadt waren im Herzen schwenckfeldisch
 gesinnt, hatten aber nur die Unkirchlichkeit des Separatismus
 behalten, während ihre Lebensführung von der Gottinnigkeit
 Schwenckfelds wenig verspüren ließ. Sie wurden durch die
 Kirchenzucht, welche der Pastor übte, oft sehr empfindlich getrof-
 fen und wurden je länger je mehr seine erbitterten Gegner. Dann
 und wann kam es zu heftigen Konflikten. Im Herbst 1562 starb
 die Frau des Tuchmachers Paul Neugebauer, die gleich ihrem
 Manne zu den Schwenckfeldern strengster Observanz gehörte366).
 Sie hatte sich trotz des Zuredens der Kinder geweigert, den Zu-
 spruch des Geistlichen und die Spendung des Abendmahls zu er-
 bitten. Erst als ein tödlicher Ausgang der Krankheit zu erwarten
 war, begehrte der Mann die Gewährung des Sakraments. Rosen-
 tritt nahm, jedenfalls mit Recht, an, daß es der Frau und ihren
 Angehörigen nur um die kirchliche Beerdigung zu tun sei und
 schlug ihr deshalb die Bitte ab. Einem wiederholten Gesuch würde
 er entsprochen haben, aber es erfolgte nicht. Die Frau starb, und
 Rosentritt versagte ihr das kirchliche Begräbnis. Nun erhob sich
 ein gewaltiger Sturm. Die Tuchmacherzeche, der auch der Bürger-
 meister angehörte, ergriff die Partei des Zunftgenossen. In einer
 erregten Versammlung der Tuchmacher, der auch die Ältesten und
 Geschworenen beiwohnten, beschloß man, bei dem Hauptmann Be-
 schwerde über den Pfarrer zu erheben. Rosentritt überreichte ihm
 seinerseits eine ausführliche Rechtfertigung seines Verhaltens und
 blieb bei seiner Weigerung, während der Hauptmann dem Tuch-
 machermittel rechtgab und verfügte, die Frau sei mit kirchlichen
 
 366 Rep. 28 X. 5 g. Des Pfarrers von Lüben Beschwer.
 | - 93 - Zeremonien zu begraben. In der Wochenpredigt legte der Pastor
 vor der versammelten Gemeinde seine Auffassung dar und er-
 mahnte die Anwesenden, dem Begräbnis fernzubleiben. In-
 zwischen traten die Ratmänner, Ältesten und Schöffen zusammen
 und beschlossen, die kirchliche Beerdigung zu erzwingen. Die
 Glocken wurden von den Tuchknappen geläutet, der Kantor zur
 Teilnahme am Begräbnis genötigt, den Zunftgenossen "bei harter
 poen" befohlen, der Toten die letzte Ehre zu erweisen. Nur an
 einer Stelle zeigte sich unerwarteter Widerstand, bei den Chor-
 knaben, von denen Rosentritt rühmen konnte: "Die jungen knaben
 theten ihres glaubens besser bekentnis denn viel ansehnliche
 grawhauptige Menner, vnd wiewohl ihn niemands verbotten
 hatt, wolten sie doch, ob sie schon hart bedrewet warn, nicht mit-
 gehen". So fand das Begräbnis ohne Gesang und ohne Geist-
 lichen statt, aber unter großem Zulauf der Gemeindemitglieder,
 "sonderlich der, so der Schwenckfeldischen lehr anhengig sein".
 Rosentritt verfehlte nicht, dem Herzog Georg eingehenden
 Bericht zu erstatten und seinen Schutz gegenüber dem Vorgehen
 der städtischen Behörden zu erbitten. Er befürchtete, daß viele
 treue Christen es nicht verstehen würden, daß die städtische Obrig-
 keit offenbare Abendmahlsverächter und Sektierer gegen den
 ordentlichen Seelsorger in Schutz nähme, während die Schwenck-
 felder selbst ihr Haupt umso höher tragen würden. Was der
 Herzog entschieden, ist nicht bekannt.
 Die Reibungen und Mißhelligkeiten mehrten sich. Rosentritt
 beschwerte sich über "vergiffte nachrede"367), der Herzog sandte die
 Mahnung nach Lüben, ihn "des stetten vberlauffens der klagenden
 kirchkinder zu vberheben"368), und forderte den Pastor auf, mildere
 Seiten aufzuziehen, worauf dieser in einer ausführlichen Apologie
 seinen Standpunkt verteidigte368). Mündliche Verhandlungen vor
 landesherrlichen Kommissaren brachten keine dauernde Be-
 ruhigung der Gemüter, wenn es auch dem beredten Pfarrer ge-
 lang, einen Beschluß der Gemeinde herbeizuführen: "das sie solch
 offentlich ergerliches vnd vnchristliches wesen in ihrer Kirchen
 nimmermehr rechtsprechen, dulden oder gestatten könnten"368).
 Neue unliebsame Zwischenfälle vermehrten die Spannung. Am
 6. Oktober 1565 hörte der neue Diakonus Joachim Mylius in der
 Sakristei die Beichte und benutzte dabei die geheime Liste der-
 jenigen Kirchkinder, deren Leben nicht einwandfrei war369). Als
 er von einer Taufe, zu der er abgerufen worden war, zurückkehrte,
 
 367 Kanzelpublikandum vom 7.10.1565 XVI p. trin. im Staats-
 archiv Rep. 28 O.A. Lüben I Akta betr. kirchliche Angelegenheiten der
 Stadt Lüben 1559-1737.
 368 Bericht Rosentritts vom 5.7.1566 Rep. 28 O.A. Lüben XVI.
 369 Kanzelpublikandum vom 7.10.1565.
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