Zum Gesamtüberblick Zur vorigen Seite Zur nächsten Seite Zur letzten Seite (Inhalts- und Abbildungsverzeichnis)
Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 296/297
- 296 -

Zeit gewachsen waren707), auf das rechte Maß zurückgeführt und
überall ein sicherer Rechtsboden gewonnen. Andrerseits hatte die
Vielregiererei der staatlichen Verwaltungsorgane die ungewollte
Nebenwirkung, daß die Regierten schließlich stumpf und gleich-
giltig wurden und dem unliebsamen Maßnahmen passiven Widerstand
entgegensetzten. So gelang es augenscheinlich nicht, die An-
pflanzung von Maulbeerbäumen auf den Kirchhöfen in nennens-
wertem Umfange durchzuführen, obwohl "gebührende Zwangs-
und Strafmittel", z. B. die Sperrung des Dezemgetreides, ange-
droht wurden.
Die preußische Verwaltung begnügte sich aber nicht mit der
Regelung der Externa des kirchlichen Betriebes, sie griff auch in
das gottesdienstliche und religiös-sittliche Gebiet ein. Die dama-
ligen Kirchgänger bekamen neben der Predigt auch mancherlei zu
hören, was nicht zur Erbauung diente, königliche Erlasse, die mit
dem Gottesdienste nicht das geringste zu tun hatten, so das Edikt
über die Ablieferung einer bestimmten Anzahl Sperlingköpfe,
ein anderes über unbefugtes Tabakrauchen oder unnützes Queru-
lieren oder über unerlaubtes Schießen. Man hörte von der
Kanzel, daß Offizieren das Schuldenmachen, daß den Mannschaf-
ten das Desertieren verboten sei, daß es sowohl "der Religion wie
der Liebe entspräche", wenn Eltern die Kinder impfen ließen;
man erfuhr in der Kirche, wann und wo Wollmärkte gehalten
würden, oder ob die Wollausfuhr verboten sei. -
Schließlich gewöhnte man sich auch daran; schwerer fand man
sich damit ab, daß 1754 die Aposteltage abgeschafft, Michaelis- und
Erscheinungsfest auf die nächsten Sonntage verlegt, ja 1773 auch
das Himmelfahrtsfest aufgehoben wurde. Letzeres wurde 1789
wieder eingeführt. Der Lübener Senior Brun708) suchte das
Verbot der kirchlichen Feier der Aposteltage damit zu umgehen,
daß er gegebenen Falls die Montaggottesdienste auf einen in
derselben Woche liegenden Aposteltag verlegte. Da er mit seinen
Kollegen nicht gut stand, wurde er von ihnen bei der Glogauer
Kammer verklagt. Er erhielt einen strengen Verweis wegen
seiner Eigenmächtigkeit, gleichzeitig wurde gerügt, daß er in den
Wochengottesdiensten den lutherischen Morgensegen abgeschafft,
die bisher gebräuchlichen Erklärungen biblischer Abschnitte (Vier-
lings Annotata) durch die Summarien der Weimarer Bibel ersetzt
und "anstoßerregenden und übertriebenen Tadel" Luthers und
seines Katechismus sich habe zuschulden kommen lassen, und daß er
über die Geistlichen und Gemeinden des Kirchenkreises ein
despotisches Regiment führe. "Ihr habt euch fürohin dergleichen

707 So hatte man ihr z. B. die Pflicht auferlegt, Holz aus der
Stadtheide auch für die Kirche zu liefern. cf. Stadtarchiv Acta betr.
Streit des Kirchenvorstehers Dr. Matthaeus gegen den Magistrat 1743
bis 1747, und Matrikel.
708 Pfarrarchiv. Acta betr. öffentlichen Gottesdienst.
- 297 -

herrschsüchtigen Betragens, welches Wir vor diesmahl noch über-
sehen wollen, um so gewisser gänzlich zu enthalten, als im
unverhofften widrigen Falle Wir keinen Anstand nehmen werden,
euch zur Unterhaltung guter Ruhe und Einigkeit der Seniorats-
Würde hinwiederum zu entsetzen709).
Den Verlust der Aposteltage verschmerzte die Gemeinde; stark
erregt wurde sie aber durch die Verlegung der Christnachtfeier.
Brun versuchte die Feier, die anscheinend stark mit allerlei volks-
tümlichen Bräuchen durchsetzt war710), abzuschaffen. Dies wurde
ihm am 13. September 1764 vom Oberkonsistorium untersagt711).
Indes wandte er sich am 11. Dezember1764 erneut an die
Behörde, um wenigstens zu erreichen, daß die Feier auf eine
andere Stunde verlegt würde. Bisher wurde sie am 1. Feiertage
früh 4 Uhr abgehalten. Die Leute aus den Dörfern trieben sich
während der Nacht herum und verübten allerlei Unfug. Daraufhin
verfügte das Oberkonsistorium, daß die Feier am 24. Dezember,
abends 8 Uhr, stattzufinden habe. Dagegen protestierte der
Magistrat mit der Begründung: die Teilnehmer an der Feier,
meist Kinder, Dienstboten und Landleute, brächten Lichte und
Wachsstöcke mit, wodurch leicht ein Brand entstehen könnte; da
die Feier erst um 10 Uhr schließe und um diese Zeit alles schliefe;
würde es kaum möglich sein, einen entstehenden Brand zu löschen.
Die Behörde blieb jedoch fest; als aber das Protestieren nicht
aufhörte, verfügte sie am 4. November 1774, daß die Feier am
24. Dezember, nachmittags 4 Uhr stattfinden sollte. Die Kom-
munität remonstrierte immer wieder und verlangte die vierte
Morgenstunde des 1. Feiertages, aber sie gelangte nicht zum Ziel.
Allmählich lebte sich die neue Ordnung ein, doch mußte der
Magistrat am 14. Dezember 1791 mit scharfen Worten vor den
mit der Christnachtsfeier verbundenen "Charlatanerieen mit
Wachsbäumen u. dergl." warnen, da "dergleichen zwecklose Gauke-
leien nicht nur vom Gesetze durchaus verboten seien, sondern auch
mit der heutigen aufgeklärten Denkungsart wahrer gebildeter
Christen im offenbaren Widerspruch ständen". Die damalige
nüchterne Zeitrichtung und der krasse Nützlichkeitsstandpunkt war
allem Volkstümlichen abhold. Das Aufstellen von Maibäumen
und Pfingststangen in der Kirche wurde 1786 verboten. Mit
Rücksicht auf die Billigkeit ordnete die Behörde die Verwendung
von Grünberger Wein beim Abendmahl an, obwohl Superinten-
dent Carstädt erklärte, "daß dieser Wein für manches gute Gemüt
zum Anstoß eine Gelegenheit sei", - aber die Billigkeit
triumphierte.

709 Ebenda; Kammerreskript vom 11.9.1760.
710 Das Quempas-Singen war schon 1770 ein alter Brauch.
711 Das Folgende nach den in den Geistlichen-, Kirchen- und Schul-
Akten Vol. II im Stadtarchiv und den Akten, betr. den öffentlichen
Gottesdienst, im Pfarrarchiv.