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Konrad Klose, Geschichte der Stadt Lüben, Verlag Kühn Lüben, 1924, S. 294/295
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Schon früher hatte der Fiskus auch die Berufung der
niederen Kirchenbeamten an sich genommen. 1763 beanspruchte
er die Besetzung des Organistenpostens. Der Magistrat wies
nach, daß schon 1683 der Organist vom Rate voziert worden sei,
und berief sich auf das Urbarium von 1605, welches bestimmte:
"Die Schulkollegen und übrigen Kirchenbedienten werden vom
Rate gewählt." Er erreichte aber nur einen halben Erfolg. Die
Kammer gestand ihm zwar das Berufungsrecht zu, beschränkte es
aber durch die Bestimmung, "daß die Annehmung der Kirchen-
bedienten niemals anders als mit Vorwissen und Einwilligung
des Amtes vorgenommen und, im Falle letzteres sich mit dem
Magistrate nicht einigen könne, zur Dezision an die Kammer
Bericht erstattet werden sollte."
So legte das preußische Regiment seine Hand auf manches,
was die Stadt lange als wohlerworbenes Recht angesehen hatte.
Sie merkte es bald, daß der Fiskus Rechte lieber in Anspruch
nahm als Pflichten. Im Jahre 1754 wollte der Obristwacht-
meister v. d. Goltz704) auf Ziebendorf die sog. Zedlitzsche Gruft
unter der großen Halle erwerben. Der Magistrat beraumte hierzu
einen Termin an, aber der damalige Oberamtmann Francke
reklamierte die Gruft als fiskalisches Eigentum und berief sich
auf das Urbarium von 1605, in dem es hieß: "I. F. G. haben in
der Kirchen eine eigens gemauerte Chorkirche oder Stand, welche
der vorgedachte Christoph von Zedlitz, Haubtmann, erbauet, und
I. F. G. von seinen Erben neben andern im Pfand gehaltenen
Sachen zu sich bracht". Die Kosten für die Instandhaltung der
Gruft hatte man bereitwillig der Kirchkasse überlassen, obwohl
deren Mittel sehr gering waren.
Weniger prompt als da, wo man pro fisco einziehen konnte,
war die Regierung dort, wo sie Lasten zu tragen hatte. Das
Primariat war dem großen Brande von 1757 zum Opfer gefallen.
Es dauerte lange, ehe wieder eine Dienstwohnung für den ersten
Geistlichen beschafft war, obwohl die Mietsentschädigung, die die
Kirchkasse zahlen mußte, nachgerade beschwerlich wurde, und
Senior Brun mit seiner starken Familie kaum eine geeignete
Wohnung finden konnte. Die Kosten des Neubaus waren von
dem Oberbaudirektor Hedemann auf 1821 rtl. 19 sgr. 6 pf. ver-
anschlagt worden. Der Anschlag wurde schließlich auf Veran-
lassung des Ministers Graf Schlabrendorff auf 1135 rtl. er-
mäßigt705). Infolge Nachlässigkeit der Baubeamten wurde der
Bau nicht ausgeführt; von dem vorhandenen Fonds wurden sogar
noch Reparaturkosten am Achidiakonat bestritten, sodaß, als nach

704 Stadtarchiv Acta betr. Geistliche, Kirchen- und Schulsachen I.
705 cf. Staatsarchiv Rep. 199 M. R. XIII 61 III und Rep. 201 b Acta
vom Bau und Reparatur der Kirch- und Schulgebäude in Lüben
Vol. I bis IV.
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zehn Jahren gebaut werden sollte, die Mittel nicht ausreichten.
Im Jahre 1770 bot sich endlich der Ausweg, das Haus des
† Acciseeinnehmers Hübner für 450 rtl. zu kaufen, da es von
dessen Erben aus Mangel an Mitteln nicht ausgebaut werden
konnte. Die Gesamtkosten für Ankauf und Ausbau betrugen
schließlich 1003 rtl., während nur 903 rtl. vorhanden waren,
infolgedessen mußten aus dem Kirchenvermögen 100 rtl. zuge-
schossen werden.
War die Regierung rigoros, so war es kein Wunder, wenn
auch die untergeordneten Instanzen darauf aus waren, sich
lästigen Verpflichtungen zu entziehen. Von alters her war bei
der Lübener Kirche ein Collegium musicum, auch Adjuvanten-
kollegium genannt vorhanden706). Es bestand aus dem Kantor,
dem Organisten und etlichen sangesfreudigen Bürgern, den
Adjuvanten, und leistete Kirchen- und Hochzeitsmusik. Das
Kollegium hatte eine eigene Kasse, in welche einige Legatzinsen
und das Rorategeld floß. Von der Stadt erhielt es observanz-
mäßig ein Achtel Bier. Durch Verfügung des Rats vom 18. Ok-
tober 1651 wurde Kaspar Rauschberg als Kunstpfeifer angenom-
men, weil "gemeine Stadt beides in der Kirche an den hohen
Festen, Sonn- und Feiertagen bei Bestellung der Figural-Musica
als bei Hochzeiten und andern ehrlichen conviviis eines geschickten
Kunstpfeiffers bedürfftig gewesen". Der Kunstpfeifer gehörte
ebenfalls dem Kollegium an und war verpflichtet, bei der Kirchen-
musik 4 Posaunen, 2 Violinen und 2 blasende Instrumente zu
stellen. Schon vor der Kirchenvisitation von 1674 war für das
Kollegium ein neues Chor hart an der Orgel erbaut worden. Im
Jahre 1743 suchte sich der Magistrat seiner Verpflichtung, ein
Achtel Bier zu liefern, zu entziehen und erwiderte auf den Protest
des Kirchenvorstehers, die Forderung des Achtels beweise, daß
das Kollegium "von einem sehr durstigen Temperamente sei, und
das Sprichwort bei ihm eintreffe: cantores amant humores
(Sänger lieben Feuchtigkeit); nach dem neuen Etat seien aber
alle vormaligen convivia aufgehoben". Diesmal schützte aber die
Kammer die Observanz und ließ das bedrängte Kollegium bei
seinem Temperament und seinem Achtel.
Für die Betroffenen war es gewiß nicht angenehm, die
Rechtstitel hergebrachter Nutzungen und Gerechtigkeiten nach-
weisen zu müssen, aber die preußische Verwaltung mit ihrer unbe-
quemen Art, in alle Winkel hineinzuleuchten, hatte ihr Gutes.
Die Kompetenzen von Kirche, Stadt und Staat wurden abge-
grenzt, die Verpflichtungen der Stadt, die in der österreichischen

706 Stadtarchiv Acta betr. Streit des Kirchenvorstehers Matthäus
contra Magistrat 1743-1747, und Pfarrarchiv Acta betr. höhere Bürger-
schule 1745-1829.