Das Völkchen von Fuchsmühl
Gemeinde Fuchsmühl














Und hier die amüsanten Jugend-Erinnerungen des Gutsbesitzers von Groß-Leipe/Trebnitz, G. W. von Waldenburg, an seine Lehrjahre 1922/23 auf dem Gut Fuchsmühl

Das Völkchen von Fuchsmühl

"Landwirtschaftlicher Eleve
für modernes, vielseitiges Rittergut
aus bester Familie mit Familienanschluß gesucht."

Das war es, worauf meine Mutter nur gewartet hatte! Sie fragte, ob ich dorthin gehen wollte. Hm - warum nicht, klang ganz gut, aber: erstklassige Familie? - Wir lebten, notgedrungen, recht bescheiden, im Vergleich zu der goldenen Zeit vor dem 1. Weltkrieg, waren weder Grafen noch Fürsten, aber schließlich landgesessener Adel, und unser Stammbaum konnte es wohl mit sehr vielen anderen aufnehmen.

Eine Besichtigung dieses meines künftigen Lehrgutes und zugleich meine Vorstellung waren schnell vereinbart, eines Tages fuhren wir hin, irgendwohin in den Regierungsbezirk Liegnitz. Eine Besichtigung der Ställe, Rundfahrt über die Felder, große Brennerei, sehr wechselvoller Boden, etwas hügeliges Land, etwas eigener und Staatswald ringsum: Machte alles einen netten Eindruck und schien durchaus die geeignete Brutstätte für den Besitzer und künftigen Leiter von Groß-Leipe im Kreise Trebnitz. Also: akzeptiert. Ein halbes Jahr köstlicher Freiheit daheim lag hinter mir, vor allem aber der allgemein bekannte und tödlich gefürchtete Albdruck des Abiturs. Daß das gelang, verdankte ich bestimmt und unverdienterweise dem Wohlwollen meines Direktors und Klassenlehrers mehr als meinem heißen, aber nur begrenzt erfolgreichen Bemühen und den zahllosen, kostspieligen Nachhilfestunden, die meine Mutter nur mühevoll finanzieren konnte. Die Geheimnisse der höheren Mathematik, die wie ein gieriger Krebs in die Physik und Chemie hinüberwucherten, blieben mir lebenslang ein Buch mit sieben Siegeln. Vielmehr beschäftigte und befriedigte mich der politische Kampf der Zeit nach dem 1. Weltkrieg - und in seltsamem Gegensatz zu diesem nüchternen und unerfreulichen Meinungsstreit die Poesie.

Somit "vorgebildet" stand ich nun im September 1922 eines Morgens neben dem Inspektor Mach - der aus dem Kreise Kreuzburg stammte und außer einem unverkennbaren oberschlesischen Akzent offenbar bemerkliche Schwierigkeiten hatte, sich auszudrücken, im übrigen eine

Gasthof zum schwarzen Adler, Besitzer Richard Weber, Postagentur, Försterei, Schloß

Gasthof zum schwarzen Adler, Besitzer:
Richard Weber, Postagentur, Försterei, Schloß

Zeitlang in Weidenhof angestellt gewesen war und von dort wohl seine hübsche, frohe, blonde Frau bezogen hatte - und dem Assistenten Wenndorf vor der Front der Gutsarbeiter beiderlei Geschlechts und erfuhr zum erstenmal die dem Anfänger unverständliche Zeremonie der "Arbeitseinteilung": Gespanne anspannen (d. h. pflügen), Ochsen eggen, Weiber: Kartoffel lesen auf dem großen Hackenschar, die und die Männer Körbe ausschütten usw. Mit einem Mal schien diese Instruktion zu Ende zu sein. Die Leute setzten sich mehr oder weniger bedächtig in Bewegung, der Hof war plötzlich leer. Da stand ich nun, noch einige jener rätselhaften Informationen im Ohr. Was nun?

Ringsum die teilweise recht neuen Hofgebäude: die große Brennerei, der dreigeschossige Getreidespeicher, das freundliche Inspektorhaus, anschließend das des Brenners, hier Brennereiverwalter genannt, Herr Tasche mit reinstem schlesischen Dialekt und einer sächsisch wirkenden Gemütlichkeit, das "Schloß", in dem ich vorläufig untergebracht war, hinter großen Platanenbäumen und einem kleinen Vorgarten schräg hinter mir, und ältere Scheunen und Stallgebäude ringsum anschließend. Wohltuend verständnisvoll nahm sich der Assistent, Herr Wenndorf, meiner an und nahm mich mit sich hinaus aufs Feld.

Er zeigte mir einige der Schläge, von denen jeder seinen eigenen Namen hatte: Kleines Hackenschar, Großes Hackenschar, Kleines und großes Lehmgewände, Mühlberg (aber keine Mühle zu sehen), und idyllisch am eigenen, mittelalten Kiefernwald die "Moorkultur", eine von vielen schmalen Gräben regelmäßig durchzogene Wiese. All das wenige Minuten vom Hof entfernt. Allmählich waren die Gespanne und Leute da draußen angekommen, die Kartoffelerntearbeit begann. Und bald auch der schon länger drohende Regen. Ich wollte meine Bozener Regenkappe holen. Herr Wenndorf aber sagte mir, das ginge nicht: die Leute müßten auch ohne Mäntel aushalten. So wurden wir naß. Natürlich waren diese Leute, wohl 40 oder 50 an der Zahl, mir ebenso fremd wie die Schläge, die Nachbarorte, die ganze Umgebung. Und auch der dort übliche breite Dialekt. Das half mir bis zu einem gewissen Grade: Als mich dank des Regens beim Dreschen in der Scheune eine runzlige, kleine, alte Frau durchdringend (wegen des Getöses der Dreschmaschine) anschrie: "Gaaben Se mer moal a Baasen !" sah ich sie völlig ratlos an, und die Käselern, deren Namen mir Herr Wenndorf wohl später sagte, übersetzte mir diese Aufforderung mit: sie will einen Besen haben. Sie war Frau Weinert.

Die beiden also kannte ich nun und Frau Käseler hat mir noch lange Zeit als Dolmetscherin gute Dienste geleistet. Sie sprach mit mir ein jederzeit verständliches Hochdeutsch, mit leicht schlesischem Anklang, und hatte außerdem den Vorzug, ein feines, schmales, freundliches Gesicht zu haben. Ihr Mann übrigens auch, sehr abweichend von den meisten anderen. Er "spannte Ochsen an" und verrichtete alle jeweils notwendigen sonstigen Männerarbeiten, war sehr still und trat nie in Erscheinung. Ganz im Gegensatz zu Werner, der der Vorarbeiter war, kleiner, weniger mager, mit großer, gekrümmter Nase, etwas schütterem Haar, ein tüchtiger Mann auf allen vorkommenden Gebieten mit einem gewissen Selbstbewußtsein und - ein Aufrührer! Wie unangenehm überrascht war ich, als er bei einem nach einigen Monaten ausbrechenden Landarbeiterstreik der Rädelsführer war - ein Mann, der als Vorarbeiter meiner damaligen laienhaften Vorstellung nach der erste Diener seiner Herren hätte sein müssen, etwa mit der Einstellung eines Bismarck zu seinem Kaiser und dessen Volk. Dieser Gedanke lag mir dank des hervorragenden Geschichtsunterrichtes, den ich bis vor einem halben Jahr ausgesprochen genossen hatte, weit näher als die marxistische Einstellung der mir damals nur oberflächlich bekannten Gewerkschaften und ihrer Funktionen. Und in Verbindung mit ihm lernte ich einige Zeit später mit Vergnügen die Menschenkenntnis und gewitzte Taktik von Herrn Inspektor Mach kennen und bewundern. Der Streik hatte sich etwa zwei Wochen hingezogen. Zu seiner Beilegung vor dem sogenannten Schlichtungsausschuß in Lüben hatte mich mein Lehrherr wohl deswegen entsandt, weil er ein hoffnungsloser Stotterer, der Inspektor sprachlich ebenfalls etwas gehemmt war. Das hob mein Selbstbewußtsein in dieser mir unbekannten und voller Geheimnisse einigermaßen unheimlichen neuen Umgebung gewaltig - und wohltuend.

Im Spätherbst nun mußte "die Große Wiese" an der Grenze mit Bärsdorf-Trach geeggt werden. Wohl über 100 Morgen groß, von vielen tiefen und breiten Gräben durchzogen, zwei Kilometer oder mehr vom Gutshof entfernt, war es für einen Mann, zwei Ochsen und eine schwere, dreiteilige Egge sozusagen eine Sisyphus-Arbeit, kein Ende abzusehen, keine Menschenseele weit und breit, denn Bärsdorf-Trach lag wohl noch einige Kilometer weiter, jenseits des Schwarzwassers, als Fuchsmühl. Aber selbst dort war jederzeit mit dem kontrollierenden Auftreten von Herrn Mach, Herrn Wenndorf oder mir, sogar gelegentlich des Besitzers zu rechnen. Ausruhen fiel also aus, es lag wohl auch dem Vorarbeiter-Stolz von Werner fern. Als wir einmal über dessen Verhalten beim Streik sprachen, sagte Herr Mach: Der kann ohne Quatschen nicht leben, darum habe ich ihn rausgeschickt. - Sieh da, der kennt seine Leute, und er kannte sie wirklich.

Gasthof zum schwarzen Adler, Besitzer Richard Weber, Postagentur, Schule und Denkmal, Fleischerei, Heidrich's Warenhandlung

Gasthof zum schwarzen Adler, Besitzer Richard Weber, Postagentur,
Schule und Denkmal, Fleischerei, Heidrich's Warenhandlung

Eines Tages im Winter sagte mir Herr Mach, daß der Oberschweizer Milch stehle und er wolle ihn abfassen, wobei ich ihm helfen sollte. Am nächsten Morgen zwischen 2 und 3 Uhr zogen wir uns an, bezogen einen Platz auf dem kleineren Speicher, gegenüber dem Kuhstall und dicht am Wege gelegen, den der Oberschweizer von seinem Haus und zurück nehmen mußte. Es war stockdunkel, es dauerte endlos, bis die Schweizer und die Tochter des "Ober" in den Stall gingen. Im Stall hörte man die üblichen Geräusche. Endlich öffnete sich die Stalltür, es kam jemand heraus, aber ohne etwas bei sich zu tragen.

Herr Mach erkannte die Tochter, und dann öffnete sich erneut die Stalltür und gegen den hell erleuchteten Hintergrund sah Herr Mach genug: Er kommt, bedeutete er mir, schickte mich runter, ihn anzuhalten. In höchster Spannung tastete ich mich die dunkle Speichertreppe hinunter. Mein militärisches "Halt" verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Der Oberschweizer stand, eine 30-Liter-Kanne in der Hand - und daraufhin verschwand er in kürzester Zeit aus Fuchsmühl. Ich glaube, der Besitzer hat mir seine Anerkennung ausgesprochen. Allmählich lernte ich die vielen Namen der Gutsleute kennen, unter denen Beutner irgendwie hervortrat, ein vierschrötiger, robuster Mann, mittelgroß, blond, offenbar tüchtig - und rot, wie Werner, und urgesund !

In der damaligen Inflation beschäftigte Geld die Gemüter naturgemäß überdurchschnittlich. Als ich mich einmal mit ihm darüber und über die steigenden Krankenkassenabgaben unterhielt, sagte er mir: "Ich habe jetzt 24 Jahre Beiträge bezahlt und noch nicht einen Pfennig von ihnen bekommen", ein nüchterner - und mir dank meiner ganzen Erziehung und unserer Lebenshaltung völlig neuer Blick ins praktische Leben. Es kam mir damals nicht in den Sinn, ihn zu fragen, wer die Kosten für die Entbindung seiner vier Jungen und die arbeitsfreie Zeit seiner Frau getragen habe. Ich bin überzeugt, daß Beutner zum Ausbruch und zur Verlängerung des Streiks beigetragen hat. Als Pferdeknecht gehörte er gewissermaßen zur Aristokratie der Belegschaft. Dieser Streik brachte für mich die erste - und fast einzige - Berührung mit der praktischen Tätigkeit des Landarbeiters mit sich.

Am ersten Morgen sagte mir der Inspektor, die Pferde anzuspannen - ich glaube Beutners - und mit ihm nach Futterrüben zu fahren. Wie ich die riesigen, schweren Kummete über die Pferdeköpfe bekam, weiß ich heute nicht mehr, zumal unzählige Stränge und Riemen sehr wirkungsvoll zur Vergrößerung des Gewichtes beitrugen. Die Pferde aber wußten es und halfen mir praktisch dabei. Irgendwie bekam ich sie dann an den Kastenwagen. Herr Mach fuhr voran, mit Herrmanns Pferden, den besten im Stall. Zum Geschirr gehörte die Hott-Leine, eine einfache Zügelleine, die mit den Pferden verbunden war. Diese Vorrichtung war mir ja auch noch unbekannt, da ich nur die Kreuzleine kannte, die zu beiden Pferdemäulern führte. Ahnungslos folgte ich Herrn Machs Wagen, aber die Hofausfahrt zwischen zwei massiven Mauern mit einer rechtwinkligen Linkskurve direkt dahinter verfehlte ich dank der Hott-Leine, und Beutners Pferde leider auch.

Fuchsmühl: Gasthof zum Schwarzen Adler, Kolonialwarenhandlung, Schule, Schloss

Gasthof zum Schwarzen Adler, Kolonialwarenhandlung, Schule, Schloss

Ich bekam den schweren Kastenwagen gerade noch zum Halten, als die massige Vorderradnabe den massiven Torpfeiler berührte. Herr Mach hat mir dann das Geheimnis des Fahrens mit der Hott-Leine erklärt. So bewunderte ich die Gelehrigkeit der Pferde wie auch der Ochsen, wie auch Herrn Machs Maßregelung von Werner, der allein wochenlang die große Wiese eggen mußte. Bisher hatte ich die Peitsche beim Kutscher vermißt - hinterm Hof stand eine Reihe solcher Kropfpappeln mit schönen, schlanken, langen Austrieben. Vermutlich mit einer Handsäge schnitt ich einen solchen Trieb ab, der fast 3 Meter lang, silbergrau, leicht gebogen, aber keineswegs leicht war, und sein unteres Ende füllte wohl völlig meine ganze Hand. Irgendwo fand ich ein langes Stück Sisalgarn. Fertig war meine Peitsche, und stolz trug ich sie ins Inspektorenhaus, wohin ich inzwischen umquartiert worden war. Herr Tasche stand breit und behäbig nebenan vor meiner Haustür. Lächelnd und mit dem Daumen auf meine Peitsche hinweisend hörte ich ihn sagen: Wenn die mal wirft, lassen Sie mir eine liegen... Herr, dunkel ist der Rede Sinn, tönte es aus jener anderen Gymnasialzeit in mir nach. Was hatte er gemeint? Es hatte lange gedauert, bis mir der köstlich ländliche Humor dieses tiefsinnigen Ausspruches klar wurde.: Aber die stolze Peitsche hat ja niemals Junge geworfen.

Im Laufe der Zeit und des verhältnismäßig ruhigen Winters war ich mit meiner neuen Umgebung ziemlich vertraut geworden, auch etwas vertrauter mit dem Ablauf im Gutsbetrieb. Ich hatte vermieden, Herrn Mach zu viel zu fragen, denn er hatte offenbar zu viel Schwierigkeiten, sich auszudrücken. - Als der Lenz ins Lübener Land zog, zögernd und herb, wie es sich für unsere Heimat gehörte, gingen wir zusammen über ein frisch gepflügtes Feld. Da fragte er: Riechen Sie was? 0 ja, es duftete herrlich nach frischer Erde. Der Boden arbeitet, sagte er darauf, jetzt muß er bestellt werden.

Daß man den Boden nicht auskälten durfte, indem man den Schnee unterpflügte, hatte er mir bereits Anfang des Winters erklärt. Sicher hätte er mir gern noch mehr beigebracht, nur scheute er sich. Im Verlaufe des Frühjahrs hatte er mir auf dem Waldhof ziemlich viel Selbständigkeit übertragen. Ich empfand das mit Befriedigung und Genugtuung. Im Unterbewußtsein fühlte ich durchaus, daß das eigentlich unverdient und ich unzureichend war, was mich aber nicht hinderte, mit dem der Jugend eigenen Mut der Unerfahrenheit und entsprechendem Selbstbewußtsein diese kleine Herrscherrolle zu spielen.

Der Waldhof war ein ziemlich selbständiges Vorwerk des Hauptgutes, auf dem ein Vogt, Galle, wohnte und ein Knecht mit einem polnischen Namen, Raizek oder ähnlich. Es war ein großer, kräftiger, stiller Mann. Drei oder vier Gespanne schöner, großer, silber-gelblicher bayerischer Ochsen mit Stirnjochen wurden dort gehalten. Zum Waldhof gehörten große Viehkoppeln, auf denen ungefähr 70 Stück Jungvieh und vier schöne, elegante Fohlen die warme Jahreszeit verbrachten.

Fuchsmühl: Gasthof zum Schwarzen Adler, Besitzer Richard Weber, Partie aus dem Schlosspark

Fuchsmühl, Blick auf das Dorf, Gasthof zum Schwarzen Adler,
Besitzer Richard Weber, Partie aus dem Schlosspark

Zu meinen frühesten Pflichten gehörte, diese zu zählen. Das war keineswegs einfach: zogen sie doch weidend und mehr oder weniger dicht zusammen immerfort durcheinander. Scheinbar ist in dem Jahr meiner Betreuung keines gestohlen worden. Die vier Fohlen tauchten allerdings eines Morgens an der Grenze zu Kaltwasser auf, wurden aber wieder eingefangen. Mit der Zeit hatte das Jungvieh mich ebenfalls kennengelernt, und wenn ich "ho, ho" rief, zogen sie langsam auf mich zu und waren dann etwas leichter zu zählen.

Durch meinen allmählich ausgedehnteren Aufenthalt auf dem Waldhof wurden mir auch seine Bewohner vertrauter. Vogt Galle empfand das wohl, verständlicherweise, als eine geradezu gewisse Bevormundung, er war wohl wirklich eine etwas gallige Natur. Gelegentlich einer gereizten Auseinandersetzung sagte ich zu ihm: "Sehen Sie mich nur nicht so an !" Er entgegnete: "Guckt doch die Katz' den Kaiser an!" Damit war ich entwaffnet, aber selbst nach Jahren dachte ich noch an diese schlagfertige Antwort. Die ganze Belegschaft war eigentlich eine Gemeinschaft von Zwergen. Galle war klein und gedrungen, ein anderer Knecht, mit Namen Pilz, trug einen verblichenen Filzhut mit breiter Krempe, der durchaus zu seinem Namen paßte; er war mager, sehr klein, etwas gekrümmt, mit einem hageren, zerknitterten Gesicht und entsetzlich jähzornig. Als ich ihn einmal maßlos auf seine Ochsen fluchen hörte, was er mit seiner viel zünftigeren Peitsche, als es meine war, zu verdeutlichen suchte, da sagte jemand, der gerade in meiner Nähe war, daß das gar nichts sei, denn wenn er richtig in Wut komme, dann beiße er seine Ochsen ins Ohr!

Wie er da hinaufreichte und wie unappetitlich so ein haariges Ochsenohr doch ist, ist mir noch immer in der Erinnerung geblieben. Im Ganzen aber habe ich die Waldhofer als einen friedlichen, fleißigen winzigen "Staat im Staate" in angenehmer Erinnerung, aus dem nicht nur körperlich "der alte Wache" seltsam herausragte, weit mehr als um Haupteslänge, breitschultrig, grauhaarig, mit einem ebenso grauen, schmalen, gar nicht hübschen Gesicht, einer langen, schmalen und spitzen Nase und kleinen, graublauen Augen. Es zeichnete ihn unerschütterliche Ruhe und Beharrlichkeit aus; er war eben anders als der cholerische winzige Pilz.

Seine geistigen Fähigkeiten waren beachtlich: er wußte vieles, viel mehr als wohl die meisten andern; z. B. daß im nahen Kaltwasser auf dem Schlosse vor langer Zeit ein Dienstmädchen beschäftigt und zum Tode verurteilt worden sei, weil ein silberner Löffel gefehlt habe, und daß einige Zeit danach der Sturm eine alte Pappel im Park umgestürzt hatte, in der ein Elsternnest gefunden wurde. Und aus diesem war nun beim Sturz der silberne Löffel gefallen. Wache kannte viele Tiere, wußte, daß der Wiedehopf, den sie Wiedehuppupp nannten, sein Nest auf dem Rindermist baute und einen gräßlichen Geruch hatte; dabei fügte er hinzu: Das ist wie mit den Weibern, die schiensten sein immer die schmutzigsten! Guter, alter, lebenserfahrener Wache ! Hat er nun dem jungen Eleven damit einen wohlmeinenden Wink geben wollen?

Die Post in Fuchsmühl

Post Fuchsmühl

Dieser dachte sofort, wie auch sonst, an die schönste Frau, die im Schloß so seltsam und strahlend von ihrer so ländlich einfachen Umgebung abstach - und die für den Exgymnasiasten nicht turmhoch, nein himmelhoch über allem Unschönen und Unreinen schwebte. Die Lebensweisheit des alten Mannes kam an diese Frau natürlich nicht heran, er empfand aber die wohlwollende Mahnung tief und wohltuend. Es wurden viele Frühstücks- und Vesperpausen gemeinsam verplaudert. Dieser alte Mann hatte eine eigene kleine Landwirtschaft, die er mit seiner unscheinbaren ältlichen Frau besorgte. Guter, alter, lebenserfahrener Wache ! Hat er nun dem jungen Eleven damit einen wohlmeinenden Wink geben wollen? Dieser dachte sofort, wie auch sonst, an die schönste Frau, die im Schloß so seltsam und strahlend von ihrer so ländlich einfachen Umgebung abstach - und die für den Exgymnasiasten nicht turmhoch, nein himmelhoch über allem Unschönen und Unreinen schwebte. Die Lebensweisheit des alten Mannes kam an diese Frau natürlich nicht heran, er empfand aber die wohlwollende Mahnung tief und wohltuend. Es wurden viele Frühstücks- und Vesperpausen gemeinsam verplaudert. Dieser alte Mann hatte eine eigene kleine Landwirtschaft, die er mit seiner unscheinbaren ältlichen Frau besorgte.

In sehr natürlichem und strahlendem Gegensatz zu diesem ernsten, erfahrenen und klugen Mann und den schon anfangs erwähnten alten, verkrümmten und runzeligen Kleineren stand ein anderes Glied dieses Völkchens aus Fuchsmühl, das den Abschluß meiner Erzählungen bilden soll. Blauäugig und blond, wie der Sonnenschein, die Schönste halt unterm Gesinde, wie sie in einem längst vergessenen Gedicht geschildert wurde, leuchtete Ruth Weinert. Noch heute erinnere ich mich aus der Zeit meiner dortigen Elevenjahre an die strahlenden Augen, den Sonnenglanz ihres Haares und die Frische und die Froheit ihrer Erscheinung und ihres Wesens. Ein junges, gesundes, fröhliches Wesen, ein so ganz anderer Typ als jene strahlende Schönheit im Schloß und doch ebenso abstechend von ihrer auch ganz anderen menschlichen Umgebung.

Sorglich beschützt von meilenweiten Wäldern, die es umrahmten, in sanft hügeliger Landschaft lag Fuchsmühl, Gut und Dorf. Eigentlich bestand es aus zwei Dörfern, das namengebende am sanften Hang zum Flusse Schwarzwasser hin, und Lindhardt, was ich aus dem Altdeutschen als "Großer Wald" übersetzen zu sollen glaubte. Hier fand man größere Höfe auf dem Höhenzug mit schöner Fernsicht, und wie mir schien einen größeren, schlankeren und hageren Menschenschlag, als wäre mit dem germanischen Namen auch deren Blut hier ansässig geworden und geblieben, und auch die von der Sage überlieferte blonde Schönheit von Frauen und Mädchen. Von ihnen half eine beim zweiten Landarbeiterstreik im Sommer 1923 auf dem Gute aus, deren Name noch Jahrzehnte in meiner Erinnerung fortlebte.

Eine war in der großen Bauern- und Gastwirtschaft nahe am Walde ganz am Ende des Dorfes. Auch ihr Name ist nun in dem nebeligen Dunkel eines alternden Gedächtnisses versunken. Es waren lebendige Bilder einer je länger, um so ferner werdenden großen und schönen Vergangenheit unseres Volkes.

Daß der Verdacht des Brudermordes einen jener großen Höfe umdüsterte, daß in dem vorerwähnten Gedicht eine weitere Zeile widerstrebend berichtete: ". . . sie ist wie ein Kind der Sünde" - was tut's.

Schloss, Kriegerdenkmal, Schule, Warenhandlung Heidrich

Schloss, Kriegerdenkmal, Schule, Warenhandlung Heidrich.
Die Zuordnung zum Kreis Haynau ist falsch. Fuchsmühl gehörte seit 1820 zu Lüben. Womöglich diente die falsche Zuordnung des - nahe Haynau gelegenen - Ortes dazu, Ausflügler aus Haynau anzulocken!

Mehr als ein halbes Jahrhundert läßt Schatten nur noch als leichten Dunst erscheinen. Ein an Technik und Enttäuschungen reiches Leben nahm manchem Schatten seine Schwere. Viel Schwereres kann dem Menschen begegnen und ihn persönlich viel schmerzlicher treffen. Nicht alles Glänzende ist golden, über dem ferneren geistigen Bild jenes Dorfes und jenes Völkchens von Fuchsmühl liegt nun eben der Abendschein einer fernen Erinnerung - und auch über diesem eine drückende Wolke, das unfaßbare Bewußtsein, daß auch dies Idyll versank...

G. W. von Waldenburg, 410 S Birch St. Roswell, N. M./88201 (USA) in LHB 5 und 6/1974