Dorfchronik von Grete Kusche geb. Lehmann und Walter Lehmann
Gemeinde Petschkendorf














Die ganze Familie bei der Gurkenernte 1932!
Mit einem herzlichen Dank an Walter Lehmann, der das Bild zur Verfügung stellt! Links Kutscher Rudolf Kurz, auf dem Wagen Walter (* 1925) und Kurt (1922-1943), davor die Eltern Wilhelm († 1960) und Auguste Lehmann (1890-1980). Links vor dem Wagenrad die "Gurkenkönigin", Schwester Grete Lehmann (1920-1995).


Dorfchronik von Petschkendorf
Erstellt von Grete Kusche geb. Lehmann und Walter Lehmann

Petschkendorf, so hieß unser Heimatdorf im Kreis Lüben/Schlesien. Den Namen soll unser Dorf vom Patronatsherrn und Domänenbesitzer Petschko erhalten haben. Er soll auch der Erbauer der Kirche gewesen sein, im 14. oder Anfang des 15. Jahrhunderts. Sie brannte durch einen Blitzschlag 1726 ab, und wurde in 2 Jahren wieder aufgebaut. Am 18.10.1728 wurde sie wieder eingeweiht. Die 200-Jahrfeier war 1928.

Der Ort selbst war ein Zeilen- oder Reihendorf in einem kleinen Tal gelegen - von Wiesen und Wäldern umgeben. Sie war 6 km von der Kreisstadt Lüben entfernt, und 20 km von der Bezirksstadt Liegnitz. Der Ort wurde durchquert von der Straße, die von Lüben über Ossig kommend und dann weitergehend über Groß Reichen, Krummlinde und Vorderheide führte. (Letztere war unsere Bahnstation). Von Vorderheide aus führte die Straße weiter an die Hauptstraße Liegnitz-Lüben.

Parallel zu unserer Dorfstraße plätscherte die Bache, die von vielen Quellen und kleinen Gräben gespeist wurde und vor 1939 dem Niederdorf sehr oft bei starken Regenfällen Hochwasser brachte, und die etwas tiefer gelegenen Bauernhöfe überschwemmte. Nach der 1932 durchgeführten Regulierung und dem Bau der Wasserleitung änderte sich das. Die quer durch unsere Gemeinde führende Straße teilte das Dorf in Ober- und Niederdorf. An der Dorfstraße selbst reihten sich hüben und drüben die Bauerngehöfte in unregelmäßigen Abständen. Dazwischen standen noch kleinere Auszugs- oder Altenteilhäuser.

Der Mittelpunkt des Ortes war die Straßenkreuzung. Ein kleiner Platz, in dessen Mitte, direkt an der Verkehrsstraße, das Kriegerdenkmal stand. Darum gruppierten sich nach dem Niederdorf zu, das schöne große Pfarrhaus mit Scheune und Stallung. Es wurde von Lehrern und Gemeindeschwestern bewohnt. Unsere Gemeinde hatte keinen eigenen Pfarrer und war an die Kirchengemeinde Ossig angeschlossen.

Unmittelbar daneben stand die vom Friedhof umgebene Kirche. Diese war ursprünglich katholische und hatte einen schönen Altar, und auch einen sehr schönen, seltenen Taufstein. Sie war für unsere ca. 500 Gemeindemitglieder ziemlich groß, hatte zwei Emporen und eine gut gepflegte Orgel auf der oberen Empore, Drei Glocken läuteten an Sonn-, Fest- und Feiertagen. Eine davon täglich früh, mittags und abends.

Der Kirchenchor unter der Leitung von Kantor Gaede trug sehr zur Verschönerung der Festgottesdienste bei. Links vom Kirchhofseingang stand das Spritzenhaus der Feuerwehr. Daran, und auch an das Kirchhofsgelände, schloß sich das Patronatsgut - der Mittelhof genannt - an.

Gegenüber der Kirche war unsere einklassige Schule mit Wohnung, Stallung und Scheune des Hauptlehrers Gaede, der außer einem sehr schönen, von seiner Frau gut gepflegten Garten noch eine Wetterbeobachtungsstation hatte und auch Imker war. 65 Kinder wurden von zwei Lehrern unterrichtet. Die Wetterstation, die wir Kinder der oberen Klassen unter Anleitung des Herrn Lehrer Gaede zum Teil mit betreten durften, gab allen Kindern einen Einblick in die Meteorologie.

An der Schulscheune stand auch noch, ziemlich dicht an der Verkehrsstraße, das Nachtwärterhäuschen. Das Nachtwärteramt war noch bis 1945 - sehr zum Ärger der Jugend - besetzt.

Am Dorfplatz standen nach dem Oberdorf zu, rechts und links von der Dorfstraße, je ein Gasthaus. Das eine gehörte Herrn Koschel, der nebenher noch eine Stellmacherei und etwas Landwirtschaft betrieb, Die größere und beliebtere Gaststätte gehörte Herrn Fritz Friedrich, der gleichzeitig noch eine Fleischerei hatte. Er war auch Vorsitzender des Raiffeisenvereins- und Sparkasse. Ebenfalls führte er auch noch die Post, bis seine Töchter aus dem Haus waren. In dieser Gaststätte soll der "Alte Fritz" mal gerastet haben. Friedrichs Gaststätte war der Zusammenkunftsort der Vereine, sowie der Vereinsvergnügungen, wie Kriegerverein, Gesangsverein, Volkstanzgruppe der Landjugend sowie der Feuerwehr. Die Dorfjugend feierte lieber in Koschels Gaststätte.

Unser Petschkendorf, ein Bauerndorf, hatte auch seine Handwerker. Es gab zwei Wassermühlen, zwei Schmieden, zwei Stellmacher und einen Dachdecker. Alle selbständige Handwerksmeister, die auch eine kleine Landwirtschaft betrieben.

Zwei Gemischtwarenläden versorgten die Dorfbewohner mit Waren des täglichen Bedarfs. Dort gab es fast alles zu kaufen - von Textilien über Lebensmittel, alkoholische Getränke, Gartengeräte - bis zur Kuhkette. Das größere Geschäft hatte die Familie Breytung, die auch noch eine gute Bäckerei mit sehr schmackhaftem Kuchen, Semmeln und Brot führte. Letztere wurden zweimal wöchentlich frei Haus geliefert.

Zwei Schuster und ein Friseur vervollständigten die Reihe der am Ort ansässigen Handwerker. Dazu kamen noch Maurer, Schlosser, Tischler Straßenwärter und Zimmerleute, die bei auswärtigen Firmen arbeiteten. Neben Bauern, Geschäftsleuten und Handwerkern lebten auch noch einige Landarbeiterfamilien. Diese arbeiteten auf dem 150 ha großen Gut am Ende des Niederdorfes und der 250 ha großen Domäne (Mittelhof) und wohnten dort selbst oder in der Nähe. Neben der Mühle im Oberdorf war noch ein Restgut oder Vorwerk, das ursprünglich zur Domäne gehörte. 1937 wurden die 65 ha aber in vier Siedlerstellen aufgeteilt. Diese neu gebauten Bauernhöfe in Richtung Brauchitschdorf und Fauljoppe gaben vier Familien ein neues Zuhause.

1929 erhielt unsere Gemeinde auf Betreiben unseres Bürgermeisters Läbe (der im Niederdorf seinen Bauernhof hatte) und der Gemeindevertretung endlich eine Wasserleitung, die von einigen Quellen im Oberdorf gespeist wurden und durch ihr natürliches Gefälle fast ohne Pumpstation auskam. Nur vier höhergelegene Bauernhöfe benötigten die Pumpstation.

Nachdem 1922 auch unser Dorf mit den Nebengemeinden an das Elektrizitätsnetz angeschlossen worden war, war die Wasserleitung einmalig in der näheren Umgebung. Dazu schuf unser Hauptlehrer Gaede mit Hilfe des Sportvereins und den Schulkindern aus einer quelligen Sandgrube einen modernen Sportplatz an der Straße nach Groß Reichen. Das durch Drainage abgeleitete Wasser sollte eine für 1939 geplante Badeanstalt mit Wasser versorgen. Der Krieg machte, wie vieles andere auch, diesen Plan zunichte. Große Wiesen, von kleinen Bächen durchzogen, die auch bei großer Hitze nicht versiegten. Dies brachte eine gesunde Flora und Fauna. Alljährlich kehrten zwei Storchenpaare in unser Dorf zurück. Sie hatten ihre Nester auf Bäumen, die oben mit einem Wagenrad versehen waren. Eine Storchenbrutstätte war am Niederhof und eine am Mittelhof, "dort gab es auch die meisten Kinder."(!)

In unserer Gemarkung waren fast alle Bodenklassen vorhanden. Auf der Ossiger Seite, von dem Wäldchen "Schwalbenschwanz" angefangen, bis zum Wald (die Hardt) am Niederhof war leichter Sandboden, wo Roggen, Mais und Kartoffeln am ertragreichsten waren. Von der Hardt, an den Niederwiesen entlang, die an Dittersbach grenzten, bis zum Käferfeld, welches an Mühlrädlitz und Großreichener Gemarkung grenzte, war schwerer Lehmboden. Dort wurden Weizen, Gerste, Hafer, Raps, Futter- und Zuckerrüben, Gurken, Klee und Luzerne für die Stallfütterung angebaut.

Diese genannten Feldfrüchte wurden auch auf den Feldern der Oberdorfes angebaut, welches mittlere und schwere Böden hatte. Die meisten Erträge der Felder und Wiesen wurden für Pferde-, Rinder und Schweinezucht und Mast, sowie für das Geflügel verwertet. Das nicht benötigte Getreide wurde an die Getreidehändler in Lüben verkauft. Die Zuckerrüben wurden an die Lübener Zuckerfabrik geliefert. Die Gurken, die bei Seidels sortiert wurden, gingen dann weiter an die Lübener und Liegnitzer Gurkeneinlegereien, die in ganz Deutschland bekannt waren.

Die erzeugte Milch wurde ab 1935 mit einem großen Pritschenwagen in die Molkerei "Rodemühle" nach Dittersbach gebracht. Die Weiterbildung der Dorfjugend fand im Rahmen der ländlichen Berufsschule, die vom Hauptlehrer Gaede geleitet wurde, in unserem Schulhaus statt. Wer wollte, der konnte sich auf der Landwirtschaftsschule in Lüben weiterbilden, wovon viel Gebrauch gemacht wurde.