Heinz Birk (1922-2006)
Die Lübener Familien Böer und Fels














Heinz Birk (1922-2006)

Heinz Birk (1922-2006)

Meine Webseite habe ich Heinz Birk gewidmet, der die Vorarbeiten dazu mit großer Freude begleitete und mit Material unterstützte. Wenige Tage vor seinem Tod gab er mir Aufzeichnungen über seine Flucht aus Lüben zur Veröffentlichung. Die Zeit, die ihm blieb, reichte nicht, für eine gemeinsame Bearbeitung des Berichts. Sein Leben vollendete sich an dem Tag, an dem ich meine Webseite ins Netz stellte. Es macht mich unendlich traurig, dass mir sein Wissen und sein Rat nicht mehr zur Verfügung stehen. Seine Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit fehlen nicht nur mir.

Heinz Birk entstammte einer alteingesessenen Lübener Familie. Sein Vater betrieb seit 1921 in der Breslauer Straße 5 (später Rohproduktenhandlung Scholz), dann in der Steinauer Straße 33 ein eigenes florierendes Speditionsunternehmen. 1938 übernahm er die Bahnspedition seines Vaters Hermann Birk, die am Ring Nr. 7 ihre Geschäftsräume hatte. Zum Leidwesen der Eltern lehnte Heinz Birk als einziger Sohn (neben zwei Töchtern) es zunächst aber ab, in den väterlichen Betrieb einzutreten, er wurde Bäcker. Erst als er nach schwerer Kriegsverletzung seinen Traumberuf nicht mehr ausüben konnte, trat er in das väterliche Geschäft ein. Nach der Vertreibung und einigen Umwegen schlug er sich auf der Suche nach einer einschlägigen Beschäftigung 1951 aus der DDR nach München durch und ließ, als er hier Fuß gefasst hatte, seine Frau und die zwei Kinder nachkommen.

Schon bald fand das Ehepaar zur Heimatgruppe Liegnitz-Lüben und zum Münchner Schlesierverein, wo er wegen seiner Bereitschaft zu aktiver Mitarbeit alsbald gern gesehen und geschätzt wurde. Schon 1963 wählte ihn die Heimatgruppe zum Vertreter ihres Leiters Georg Ludwig. Nach dem Tod von Frau Hoffmann-Rehmie übernahm er zusätzlich das Amt des Sprechers des "Lübener Tisches". Ab 1988 gehörte er daneben zum Vorstand des Schlesier-Vereins München.

Das Repräsentieren vor Publikum war nicht seine Sache. Doch mit Hingabe widmete er sich als begnadeter Organisator in der Heimatgruppe wie im Schlesierverein der vielfältigen Kleinarbeit. An den Treffen des Heimatkreises Lüben in Nassau nahm er, solange es seine Gesundheit zuließ, zuverlässig nicht nur als Besucher, sondern immer auch als eifriger Helfer und Mitglied des erweiterten Vorstandes der Heimatkreisbetreuung teil. Als hervorragender Kenner der Lübener Verhältnisse war er für die Landsleute stets eine begehrte Auskunftsperson. Seine Verdienste sind wiederholt durch Auszeichnungen anerkannt worden.


Heinz Birk: Wie ich das Ende des Krieges erlebte

Ich war seit August 1942 zu Haus in Lüben. Ich war als Neunzehnjähriger wegen einer schweren Verwundung an der linken Hand aus der Wehrmacht entlassen. Ab da habe ich im väterlichen Speditionsbetrieb in Lüben gearbeitet. Ich konnte trotz meiner Handverletzung noch Autofahren. Der LKW war ein Holzgaser.

Ich war in der Zeit täglich unterwegs in Liegnitz, Breslau, Steinau, Wohlau, Kotzenau und Glogau. Ab 1943 auch für das Unternehmen Barthold. Alle, die laufen konnten, auch Kinder ab dem 14. Lebensjahr, Frauen und Mädchen mussten dabei helfen. Für dieses Unternehmen waren wir viel unterwegs.

Ich habe am 6. Dezember 1944 geheiratet. Meine Frau Annemarie geb. Schlafge aus Gläsersdorf hatte in Lüben Textilverkäuferin bei Fa. Klust gelernt. Nach Arbeitsdienst und Kriegshilfsdienst wurde sie dienstverpflichtet an den Bahnhof in Lüben. Dort habe ich sie auch kennen gelernt.

Nun zum 27. Januar 1945. Es war ein Samstag. Wir hatten sehr viel Schnee und auch eine große Kälte, so um 15 bis 20 Minusgrade und zum Teil sogar kälter. Ab Anfang Januar 1945 kam die russische Front über Polen immer näher. In der Zeit habe ich fast Tag und Nacht Flüchtlinge von der Ostseite der Oder in Richtung Westen gefahren. So war ich auch einmal für die NSDAP unterwegs. Ich sollte mit einem Parteigenossen nach Wohlau fahren, um Parteiakten zu holen. Wir fuhren in Richtung Steinau, um dort über die Oderbrücke nach Wohlau zu fahren. In Steinau kurz vor der Brücke wurden wir von einem Wehrmachtsoffizier angehalten, der uns an der Weiterfahrt hinderte mit den Worten, auf der anderen Seite stehe an der Brücke ein russischer Panzer. Das war so 8 Tage vor dem 27. Januar. Der Panzer war wohl eine Vorhut der Russen.

2 Tage später sind wir dann wieder nach Wohlau gefahren über Leubus. Da war auch eine Brücke. An der Brücke wurden wir wieder von einem Offizier der Wehrmacht empfangen, der mir eröffnete, nach dem ich ihm gesagt hatte, wohin wir wollen, um 18 Uhr werde die Brücke gesprengt. Ich habe es geschafft, 2 Minuten vor der Sprengung wieder an der Brücke zurück zu sein. Der Offizier hatte uns schon gesehen.

Für einen anderen Auftrag in den letzten Tagen vom Januar musste ich aus Lüben 14 oder 15 Männer des Volkssturm an die Front auch in die Nähe von Leubus fahren. Sie waren in Zivil, nur mit einem Karabiner ausgestattet. Von diesen Männern ist keiner zurückgekommen. Alle sind im Kampf gefallen oder wurden von den Russen als Partisanen erschossen.

So nun aber zu dem 27. Ich war an diesem Tag, das heißt vom 26. zum 27. mit Flüchtlingen unterwegs in Richtung Westen nach Haynau oder Bunzlau. Auf dem Rückweg bin ich bei den Schwiegereltern in Gläsersdorf vorbeigefahren. Wir besprachen, dass wir sie abholen, wenn es so weit sei. Der Schwiegervater fuhr mit mir noch mit nach Lüben. Er wollte dann mit dem Fahrrad wieder nach Gläsersdorf zurückfahren.

In Lüben angekommen, es war wohl um Mittag, erzählten mir meine Eltern und meine Frau, dass am Ring der Kreisleiter gesprochen habe, "der Russe" sei von der Wehrmacht zurückgeschlagen worden, es bestehe kein Anlass die Stadt zu verlassen. Hier muss ich erwähnen, dass unser Kutscher Herr Kulok schon am Freitag, dem 26., mit einem Rollwagen und den Pferden losgefahren ist. Der Wagen hatte eine Plane, so dass die Frauen und Kinder, die mit ihm fuhren, geschützt waren. Es waren die Frauen unserer Mitarbeiter und gute Bekannte auf dem Wagen.

Ich war nun zu Haus und todmüde, hatte ich doch in den letzten Tagen fast nicht geschlafen. Nach Essen und Erzählen war es wohl so um 16 oder 17 Uhr. Da klingelte das Telefon. Ich hatte zu meinem Vater gesagt, ich gehe nicht ans Telefon. Er nahm ab. Es war der Landrat. Er wollte mich sprechen. Vater sagte, ich schlafe schon und er wolle mich nicht wecken. Es dauerte keine 10 Minuten, da klingelte wieder das Telefon. Die Stimme sagte, man wolle mich sprechen, sollte das nicht möglich sein, würden sie die Polizei schicken. Ich also ans Telefon, wo man mir sagte, ich solle in einer halben Stunde mit dem LKW im Landratsamt sein. Ich fuhr also dorthin und traf im Sitzungssaal des Amtes so 10 bis 15 Männer, welche zur damals oberen Schicht gehörten. Der Landrat eröffnete mir, "der Russe" sei am Flugplatz und im Osten ca. 10 km vor der Stadt. Ich sollte mir noch einen Hänger besorgen und um 20 Uhr an der Katholischen Kirche stehen. Ich sagte zu den Herren, wenn es so ist, darf ich doch zu Haus anrufen und Bescheid sagen, wie es aussieht... Das wurde mir erlaubt.

Ich fuhr los, holte mir in der Kaserne einen Hänger und raste nach Haus, um Holz zu laden für den Holzgaser. Die Eltern mit meiner Frau hatten schon Tage vorher eingepackt, was mitgenommen werden sollte. Hier muss ich erwähnen, dass meine Frau schwanger war. Mein Vater hatte einen 1 t-LKW mit Treibgas, der wurde gebraucht, um an der Bahn das Expressgut auszufahren. Auf den LKW wurden unsere Habseligkeiten geladen. Mit dem Auto fuhren dann meine Mutter mit meiner Frau und meinem Vater. Ich muss noch erwähnen, dass meine jüngste Schwester auch da war und noch ein Kutscher. Deren Familien waren schon am Freitag mit dem Pferdewagen losgefahren. Nun waren noch die Eltern meiner Mutter, die auch mit sollten. Wir hatten noch einen PKW, einen Opel P4, aber keinen Fahrer. Den fanden wir in Gestalt eines Soldaten aus dem Lazarett in Lüben, der fuhr den PKW.

Ich fuhr nun zum Treffpunkt Katholische Kirche, wohin dann die Menschen kamen, die mitfahren sollten. Es waren Frauen, eine sogar mit einem Säugling. Auch ein Mann war dabei. Es war der Chef der Landpolizei, ein Herr Nowottny, ausgerüstet sogar mit einem Gewehr.

So um 22 Uhr fuhren wir los, ich als erster, mein Vater und der PKW mit den Großeltern als letzter. Wie ich schon erwähnte waren mindestens 20 Grad Kälte, der LKW und Hänger waren ohne Plane. Der Weg ging über Groß-Krichen, Lerchenborn nach Haynau. An der Straße waren Menschen, vor allem Frauen mit Kinderwagen, Schlitten oder Handwagen unterwegs in Richtung Westen, und das bei dem Schnee, der wohl so 15 bis 20 cm hoch war. Die Straßen waren so einigermaßen frei von Schnee. So 8 km vor Haynau fuhr ich auf der Straße in eine Schneewehe und wir saßen fest. Da merkten wir auch, dass der PKW mit den Großeltern nicht mehr da war. Wo waren sie und was war passiert? Wir haben erst viel später erfahren, warum sie nicht mit uns mitgefahren sind.

Aus der Schneewehe kamen wir bald heraus, mit vereinten Kräften. So kamen wir so um 23 Uhr in Haynau am Marktplatz an. In Haynau hatte meine Frau einen Onkel, der am Markt ein Kinderwagen- und Korbwaren-Geschäft hatte. Wir hielten vor dem Geschäft, es brannte noch Licht und wir gingen hinein. Die Leute auf meinem LKW konnten sich in einer Gaststätte am Markt aufwärmen und bekamen heiße Getränke. Ich sagte den Frauen, die auf dem Hänger saßen, dass ich den Hänger nicht mehr weiter mitnehmen könne. Ich versprach ihnen, dass ich sie am nächsten Tag abhole. Sie waren einverstanden, vor allem waren sie ja aus der Gefahrenzone heraus. Wir gingen ins Geschäft von dem Onkel, um uns auch aufzuwärmen und Tee oder Kaffee zu trinken und zu erzählen, was in Lüben los war.

Es dauerte gar nicht lange, da kamen zwei Herren im Ledermantel zu uns, sie fragten, wer der Fahrer sei. Ich meldete mich und fragte, was sie von mir wollten. Ich wusste wohl, dass die Männer von der Gestapo waren, allein vom Aussehen. Sie sagten, sie hätten gehört, dass ich den Hänger mit den Leuten nicht mehr mitnehmen wolle. Ich bestätigte das mit der Begründung, dass ich mit dem Holzgas-LKW Probleme mit dem Hänger bekommen würde. Sie sagten, sie würden mich zwingen, mit dem gesamten Zug weiter zu fahren, meine Antwort war, dann bleiben wir alle hier. Das Gespräch ging hin und her, aber ich blieb stur. Da kam von dem Hänger die Frau mit dem Kleinkind in den Laden. Sie sagte zu den Männern, wir Frauen von dem Hänger fahren nicht weiter mit. Sollen wir auf dem Hänger erfrieren? Es gab noch einen heftigen Wortwechsel, aber sie konnten die Frau nicht überzeugen.

Wir fuhren dann ohne den Hänger weiter, über Görlitz, Rothenburg/a. d. Neisse nach Waakirch, 3 km westlich von Rothenburg. In der Turnhalle der Schule war ein Lager eingerichtet für die Flüchtlinge, wo wir auch vorerst blieben.

Mein Vater wollte da nicht bleiben, er wollte zu einem Kollegen nach Görlitz, wo wir auch hinfuhren, um zu übernachten. Die Nacht war bitterkalt, also musste an den LKWs das Kühlwasser abgelassen werden. Frostschutzmittel wie heut gab es nicht. Das Kühlwasser ablassen war meine Arbeit. Ich muss wohl erwähnen, dass wir mit beiden Autos nach Görlitz fuhren. Wir haben gut geschlafen, vor allem weil wir überhaupt ein Bett hatten. Am Morgen haben wir gut gefrühstückt. Dann ging es wieder zurück zu unseren Leuten nach Waakirch.

Auf dem Weg nach Waakirch fing der LKW meines Vaters an zu kochen, wir stellten fest, dass der Kühler kaputt war. Was nun? Wir waren nicht weit von einem Dorf entfernt, wo wir auch noch hinkamen. Im Dorf gab es nur einen Schmied, der wollte uns helfen und den Kühler reparieren. Nur wie er es machte, das war eine Katastrophe. Er machte es mit dem Schweißapparat. Der Kühler war danach noch mehr kaputt als vorher. Ich musste meinen Vater in Schlepp nehmen bis Waakirch. Auf dem Weg kurz vor dem Ort klapperte bei meinem Motor ein Pleul. Was nun? Mein Vater hatte die Anweisung von der Fahrbereitschaft in Lüben, sich in Licht bei Zwickau zu melden. Wir hatten Glück. Zu uns stieß der Fahrbereitschaftsleiter Herr Denkmann aus Lüben. Der verschaffte uns dann in Niesky im Reichsbahnausbesserungswerk in der Motoren-Abteilung die Reparatur des Motors.

Die Eltern, meine Frau, meine Schwester und der Kutscher fanden im Ratskeller in Rothenburg eine Unterkunft, ein Zimmer für 6 Personen. Die Reparatur dauerte wohl fast eine Woche oder länger, ich weiß es nicht mehr. In der Zeit stieß auch noch die Schwester meiner Frau zu uns. Sie war mit dem Fahrrad aus Gläsersdorf mit den Eltern geflüchtet. Sie verlor die Eltern und war auf dem Weg irgendwohin, da fand sie uns in Rothenburg. Die Eltern meiner Schwiegereltern wurden auf der Flucht von den Russen überrollt. Sie gingen wieder zurück nach Gläsersdorf, wo sie 1947 im Sommer ausgewiesen wurden.

Noch etwas zu unser Unterkunft. Wir waren einmal 8 oder 9 Personen in dem Zimmer. Der LKW wurde fertig und die Front kam immer näher. Die letzten Handgriffe an dem LKW musste ich noch selber machen. Wir fuhren weiter, im Schlepp der LKW meines Vaters, welchen wir mit einem Balken abschleppten. Auf dem Weg fanden wir auch noch unseren Kutscher mit dem Wagen und Pferden in der Nähe von Großenhain. Es war an dem Tag, als Dresden bombardiert wurde. Wir konnten von dem Ort, wo wir waren, das brennende Dresden sehen. Der Himmel war blutrot.

Wir kamen dann ohne Probleme nach Zwickau, wo wir drei Familien zugeteilt wurden. Meine Eltern kamen zu einem Bauern, wo wir auch die LKWs abstellen konnten. In der Zeit wurde unser Sohn geboren.

Zwickau wurde Tag und Nacht von Fliegerangriffen heimgesucht. Es war sogar so schlimm, dass Tiefflieger auf der Autobahn alles beschossen, was sich bewegte. Anfang April holte uns ein Bruder meiner Mutter, der in Radebeul wohnte, zu sich. Dort erlebten wir auch den 8. Mai 1945, das Kriegsende.

Im August 1945 fuhren wir von Radebeul mit dem LKW nach Mecklenburg zu einer Schwester meiner Mutter. Es war im Kreis Hagenow in Goldenbow. Diese Fahrt dauerte fast eine Woche für 500 km. Warum? Weil das Auto wiedermal streikte und zwar der Motor, ein Lagerschaden in der Nähe von Brandenburg. In Brandenburg fanden wir auch eine Reparaturwerkstatt, nach 2 Tagen konnten wir weiterfahren. Vor Rathenow streikte das Auto wieder. Es war etwas mit der Zündung, das konnte ich aber selber nach langem Probieren in Ordnung bringen. Das waren meine ersten Gehversuche, was die Reparaturen am Auto waren. Ich schaffte es später bis zur Perfektion, was Reparaturen betraf.