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 Einige Blätter aus Zoe Droysens Lübener Tagebuch 1944/45 
 
 | Kreis, mit ungestörter Arbeit. Ahnt nicht, wie es ist, aus allem herausgerissen
 zu
, unfreiwillig angeklagt zu werden,sein
wie
mag auch die Umgebung eine fried-es den
liche sein u. die Raststätte Heimat.
 Es gibt wohl nichts Schwereres als um sein
 Leben zu zittern. Und doch, tausendmal doch - -
 aus so Schwerem wächst Kraft der Liebe für
 alle jene, die gleiches still und heimlich
 tragen. Wächst Lebensandacht vor der kleinsten
 Blüte, dem winzigsten Geschöpf. Herrgott
 laß mich so über alles fort immer
 tiefer in dich hineinwachsen!
 Auf den Beeten der Promenaden
 die früher Blumen trugen - der Stadt-
 gärtner verstand es, sie zur Freude der
 Bürger schön zu bepflanzen - stehen in
 diesem Jahr Kartoffeln. Ordentlich in
 Reih u. Glied, wie es sich für einen Dorf-
 acker gehört. Die Pflanzen sind kräftig u.
 haben üppig geblüht, blaue u. weiße
 Blüten. Jede mit den gelben Staub-
 fäden. Wie zierlich solche Kart. Blüte ist,
 beachtet man ja zumeist nicht,
 wenn man an einem Kart. Acker
 vorüber  geht. Hier aber sieht es ein jeder
 sieht es, freut sich der Zierlichkeit
 und ist stolz auf den
 Kriegsheran-
 | wachsenden Ertrag, der seinerweise zur Stärkung der Ernährungsmasse beiträgt
 denn vieles Kleine macht ein Großes. Auch
 ich freue mich jedesmal, wenn ich zur Post
 gehe, dieses Ackerbaus, der so tüchtige Gesin-
 nung vertritt, sich nicht unterkriegen
 zu lassen!
 Unser Gemüsegarten ist eine Pracht. Er
 erfüllt - mir in der Arbeit an ihm - gleich-
 falls eine Kriegspflicht. Nicht nur uns
 versorgt er ausgiebig, sondern wir auch
 noch andere Menschen, Freunde, die in Bln.
 völlig ausgebombt, Marianne sogar schwer
 beschädigt durch Schädelbruch, als ihr Haus
 abbrannte - mit Gemüse.
 Da sind Kohlköpfe, Kohlrabi, Bohnen
 WoherVorher gab es Erbsen Salat zu allererst Spinat
 die Tomaten fangen an zu reifen
 der Sellerie steht gut, die Gurken füllen
 das Beet mit ihren Ranken u. versprechen
 guten Ertrag. Und so weiter. Der Mohn
 steht stramm in langen Reihen u. läßt
 seine Kapseln wachsen.
 Aber es ist noch ein eigenes mit d. Gemüse-
 garten. Er ist ja nicht nur Zweck und
 Nützlichkeit. Im Gegenteil. Sehr viel
 anderes ist in ihm verborgen. Von dem
 ersten Spatenstich, dem ersten Pflanzen
 
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 | Dienstag, 23. Jan. (1945) Über Nacht sind die russ. Panzer-
 spitzen bei Nimptsch u. Guhrau durchge-
 brochen. Frau Kassner sagte es mir als ich
 Semmel holte. Wieder rasender Betrieb
 auf den Straßen. Militär das bei
 Guhrau von den Sowjets überrascht
 wurden, Trecks, Trecks. Es war weniger kalt,
 aber schneite heut morgen. Überall
 stehen die Wagen beladen mit Menschen
 u. Sachen. Die Pferde sind schwer abgetrie-
 ben. Manche stürzen unterwegs und
 kommen nicht hoch, müssen getötet
 werden. Aus der Steinauerstr. kommt
 ein solcher Wagen nach d. andern auf
 den Ring mit Pferden, mit Kufen.
 Wir kochten Suppe u. trugen
 sie zum Ring. Zum nachmittag
 nochmal. In allen Häusern sind
 neuste unzählige Flüchtlinge.
 Jeder Bürger kocht tgs unzähli-
 gemale Kaffee, die Leute kommen
 danach in die Häuser Kinder
 tragen ihn aus.
 Martin Ihm ist endgültig z. Volks-
 sturm eingezogen worden. Dabei
 hat er sich in der Zuckerfabrik
 beim Säckeschleppen einen
 schweren Bruch geholt. Jetzt
 
 | sind Lisbeth und Liese allein für den ganzen Betrieb u. mit den 4
 Kleinen.  Mosinchen wurde am Sonn-
 tag 13 Jahre, ein schlimmer Geburtstag
 für das brave Kind. Auch der 15jährige
 Gerhard wird jetzt z. Militär eingezogen
 Heut las ich im Geistefeldtschen
 Laden  ein Aufgebot, alle männ-
 lichen Menschen von 16-60 müssen
 sich sofort melden.
 Hier in der Liegnitzerstr und auch
 wenn ich sonst spreche, sind die Leute
 entschlossen, hier zu bleiben und
 nicht fortzugehen. Wohin auch?
 Die Landstraßen sind überfüllt,
 wenn später etwa hier geräumt
 werden muß, so sind die Aussichten
 in Güterwagen tagelang bei der
 Kälte zu sitzen, schauerlich.
 Emma hat heut an Marusch geschrie-
 ben, wenn wir müßten können
 wir mit Heuwägelchen zu Fuß
 Aber heut Nachmittag fuhr ein
 Lautsprecherwagen u. schrie aus
 die Gerüchte über Räumung
 Lübens wären falsch. Der Kreis
 ist Auffanggebiet. Auch
 sind die Einbrüche bei Oppeln
 
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 | nicht stundenlang drin zu stecken. Allerdings das alles, weil es zu keinem Angriff kam. Erlangen ist wun-
 derbar behütet geblieben. Und auch die Nachmittage
 in der Sonne auf dem kl. Dach vor dem Fenster
 auf der Gummimatratze, mit der Schreibmaschine.
 Vor mir die immer mehr begrünten Bäume u.
 Büsche, dazu die langsam erblühenden. Die Morgen
 im Garten bei der Arbeit an den Beeten in
 der frischen sonnennahen Luft. Die Stunden auf
 der Terrasse, mittags in der Sonne, abends warm
 Schlafen. Welche Gegensätze zu dem, was uns
 kriegsmäßig erwartete - -
 Dann kam er. Der Beschuß auf die Stadt. Ein
 sehr böser Tag, schlimme Nacht, wo die Granaten
 über uns fort von Bubenreuth in die Stadt
 gingen. Wo wir darauf warteten, selbst Ein-
 schläge zu bekommen. Wir hatten alles Nötige
 in den Keller gebracht. Der ist hier sehr prak-
 tisch: Küche, Waschküche, Speisekammern, Vorrats-
 kammern u. die Efostube. Mehrere Ausgänge u.
 Aufstiege in die Wohnung, alle Fenster zum Hin-
 aussteigen. Die bd. jg. Frauen mit den 4 Kindern
 blieben in der schlimmen Nacht unten. Wir,
 3 Hensels u. ich, lagen oben angezogen. Wir hatten
 auch noch Einquartierung aus der Stadt. Als Mit-
 tags die Beschießung anfing, haben wir 4 noch in
 aller Gemütsruhe oben in der Wohnung unser
 Mittagbrot gegessen, daß wir auch nach unten
 gingen. Dann kam ein böser Nachmittag
 eine schlimme Nacht. Wir saßen mitten oder
 besser unter dem Beschuß. Am andern Morgen
 in aller Frühe rückten die Amerikaner ein
 kamen auf unserer Straße von Buben-
 reuth  Rathsberg Es war ein sonderbares, ungutes
 Gefühl. Am 16. April rückten die Amerikaner ein.
 
 | Zu uns kamen sie auch, saßen 6 auf der Haustürschwelle. Ehe sie anrückten, liefen
 hier überall noch einzelne dtsche Soldaten herum
 Bürschchen von 15 Jahren, alte Volkssturmleute,
 teils garnicht teils jämmerlich ausgerüstet
 Hensels gaben 2en noch Kaffee. Die armen
 Kerle gefährdeten die Einwohner schwer, denn
 natürlich suchten die Amerikaner gleich in den
 Häusern nach dtschen Soldaten, hatten sich
 welche drinnen versteckt, mußten die Bewohner
 es büßen. 3 junge Am. kamen ins Haus.
 Lilli u. ich gingen ihnen nach, etwas mit Herz-
 klopfen. Sie waren sehr ordentlich. "War is not
 good" war ungefähr das erste, was einer sagte.
 Sie gingen bald wieder, kamen keine mehr.
 Wir atmeten auf. Als ich nachm. etwas mich
 zur Siesta in die Veranda legte, kam Fanny
 Der Stadt sei bis 2 Uhr Ultimatum gestellt
 sich zu ergeben, sonst würde sie zusammenge-
 schossen. Es war ¾ 2. Auf der Straße setzte
 ein Strom von Flüchtenden aus der Stadt
 ein. Mir war zumute wie damals, als wir
 aus Lüben fortgingen. Angstvoll warteten
 wir. Aber es kam nicht zum Ärgsten.
 Die Gerüchte hatten übertrieben.
 Da ein Widerstandsnest in der Stadt bestand
 wurde es bekämpft, doch im Ganzen die Stadt
 geschont. Es war herrliches warmes Wetter
 Die in den Wald Geflohenen hatten Glück,
 wenn sie auch z. T. wegen Beschuß ein
 Waldstück räumen mußten. Wir hatten das
 Haus voll von Bekannten u. Unbekannten.
 Nach etlichen Stunden konnten die
 Leute wieder nach Hause gehen. Wir kochten
 en gros Pfefferminztee u. erfrischten die
 aus dem Wald Kommenden. Mittags um 3 ist
 die Stadt übergeben worden. Wie dachte ich
 |  Tief berührt erfuhr ich im Frühjahr 2007 von zwei handschriftlichen Tagebüchern, die sich neben anderen Nachlass-Sachen von Zoe Droysen im Besitz des Antiquariats Tarter befinden. Eines schrieb sie als 20jährige über ihren Italien-Aufenthalt (vom 4. Oktober 1904-1.2.1905) . Es ist weniger interessant, da es sich in einer Aufzählung der von ihr besuchten Museen, Bauwerke und Landschaften erschöpft. Es scheint, als habe ihr Vater, der 1875 im gleichen Schreibheft seine Italieneindrücke festgehalten hatte, diese Aufzeichnungen von Zoe und ihrer Schwester Emma - als Zeugnis ihrer Bildungsreisen - gefordert.
Ihr Lübener Tagebuch dagegen begann sie Ostern 1944 in Lüben. Dass es Weihnachten 1948 in Erlangen endet, war zu Beginn nicht abzusehen und macht das Tagebuch zu einem bewegenden Zeitdokument. Sie beschreibt anfangs darin ihre tiefen Empfindungen gegenüber der Natur, ihre Kontakte zu den Einheimischen und zeigt auf erschütternde Weise, wie der Krieg in die Idylle der beschaulichen Kleinstadt einbricht. Minutiös hält sie die Flucht der beiden über sechzig Jahre alten Frauen in Eiseskälte, überfüllten Zügen und der Angst vor den Russen und später den Amerikanern fest. Ihre Schwester stirbt wenige Tage nach der Ankunft bei Bekannten in Erlangen an Erschöpfung und Herzeleid. Zoe Droysen leidet lebenslang unter dem Verlust ihrer Lübener Heimat. Zoe Droysen starb am 20. September 1975 in Ramsau bei Berchtesgaden, wo sie alljährlich Erholung bei guten Freunden fand, im Alter von 90 Jahren. Sie wurde in Erlangen auf dem Altstädter Friedhof beigesetzt.
 Es hat mich erschüttert, dass keine Institution, die ich anschrieb, in der Lage war, sich mit dem Antiquariat über einen Preis zu einigen, um das Dokument vor dem Verfall zu retten. Schlimmer noch! Das "Lübener Heimatblatt", dem die Eigentümer des Dokuments ohne jegliche finanzielle Forderung eine auszugsweise Veröffentlichung angeboten hatten, teilte - obwohl niemand dort das Tagebuch gelesen hatte - mit, man sehe keine Verwendung für den Text, da die Leser nicht mehr an diese Zeit erinnert werden möchten. Das hat mich sprachlos gemacht. Danach hatten wir uns mit dem Antiquariat entschlossen, diese Ausschnitte des Tagebuchs auf meiner Website Lüben-damals zu veröffentlichen. Dafür war ich der Familie Tarter sehr dankbar. Damit wird das Andenken an Zoe Droysen und die Geschichte der Stadt Lüben auf angemessene Weise bewahrt. Inzwischen ist das Lüben-Tagebuch der Zoe Droysen im Besitz der Stiftung Kulturwerk Schlesien, Würzburg, Urkunden- und Handschriftenarchiv 97. |