Kennenlernen, Hochzeit und Trennung meiner Eltern 1942-1945














Lübener Oberschüler 1944
Ulrich Rathey

In einem Klassenzimmer
in einer kleinen Stadt,
am Morgen, so wie immer,
man sich versammelt hat.

Doch bleich ist heut' der Lehrer,
voll Spannung ist der Raum,
der Gruß wird ihm heut schwerer,
die Knaben merken's kaum.

Sie achten nicht des Alten,
der da zu ihnen spricht,
und der die Händ' muß falten,
weil ihm das Herz zerbricht!

Zehn frohe junge Leben
greift wieder sich der Krieg,
der Herr mag sie umgeben
mit seiner Gnad' und Lieb'!

Die Knaben sind entlassen,
es schäumt das junge Blut,
sie ziehen durch die Gassen
und sind voll Übermut!

Was kümmert sie das Reden
von Krieg und von Gefahr,
sie werden freier leben,
als es zu Hause war.



Der Zwang ist überstanden,
die Schule ist vorbei!
Man träumt von fernen Landen
und fühlt sich froh und frei!

Bei einem Trinkgelage
mit schlechtem, dünnem Bier
kommt der Entschluß zutage:
Auf, bringt ein Stück Papier!

Wir wollen wieder zechen
in dieser Kneipe hier
und von der Jugend sprechen,
wenn zehn Jahr älter wir!

Zehn laute frohe Knaben
sind eifrig gleich dabei
und werfen hin die Namen,
auf daß es gültig sei.

Dem Wirt ward übergeben
das heil'ge Dokument,
das nur den Wunsch zu leben
zehn junger Menschen kennt.

Und Abschied nimmt die Meute,
die alte Welt zerbricht,
vom Turm hallt Grabgeläute;
jedoch sie hören's nicht!


Und hören ihn wohl nimmermehr,
den trauten Glockenklang,
denn zukunftahnend kündet er
schon Tod und Untergang.

Die Jahre sind verflogen,
die Glocken längst entzwei,
der Krieg durchs Land gezogen
mit Tod und Wüstenei.

Die Räume sind verfallen,
in denen nun zur Stund'
die Mauern sollten hallen
von lust'ger froher Rund.

Doch statt der lauten Zecher
hallt Wind nur im Gestein,
und statt der vollen Becher
tropft kalt der Regen ein!

Und tief unter den Steinen,
da liegt das Dokument,
es wird die zehn vereinen,
die längst verdorben sind.

Es könnten all die Tränen,
die diese zehn beweinen,
wenn sie zusammenkämen,
zu einem Meer sich einen!

aus: Lübener Heimatblatt 18/1970
(Der Autor - Sohn des
Lübener Rechtsanwalts Hans Rathey.)


Feldpostkarte 1940 Feldpostkarte 1940
Schütze Lw. Stein
Feldpostnummer 473 40G
Stempel: Wehrmachtsgräberoffizier *
abgestempelt am: 18.12.41, 20-21 Uhr
Familie Moch
Lüben/Schls.
Kasernenstr. 13
Rußland, den 15.12.41
Liebe Schwester nebst Schwager!
Bin noch gesund und munter was
ich auch von Euch hoffe. Wünsche
Euch ein Fröhliches und
gesundes Weihnachtsfest.
Nun seid herzlich gegrüßt von Euerm Ludwig
und sendet Ursel viele Grüße

Ludwig Stein, der Bruder von Gertrud Moch geb. Stein, aus Gröditzberg, kehrte aus dem Krieg nicht zurück. Er "fiel",
wie man sein Sterben beschönigte, 1942 in Russland. Es war der zweite Bruder, den Gertrud in einem Krieg verlor.


* Deutsche Wehrmachtsgräberoffiziere sind mit ihrem Mannschaftstrupp der kämpfenden Truppe gefolgt. Nach Gefechtshandlungen bestand ihre Aufgabe darin, Friedhöfe anzulegen und diese genau zu bezeichnen. Die genaue Lage und die Namen der Toten wurden dann an die Wehrmachtsauskunftsstelle in Berlin geschickt. Vermutlich war Ludwig Stein in solch einer Truppe im Einsatz.


Ulrich Ratheys Gedicht "Lübener Oberschüler 1944", zeigt aus dem Rückblick, mit welcher Begeisterung die jungen Leute ihrer Einberufung zum Krieg folgten. Ähnliche Einstellungen sind auch aus dem Freundeskreis meiner Mutter überliefert. Lüben war Garnisonsstadt und seit 1939 gab es den Fliegerhorst mit all den jungen Fliegern und Flugschülern, die die jungen Mädchen der Kleinstadt in Aufregung versetzten.
Holprige Verse erinnern daran:

"Lübener Zeiten"
In dem lieben, netten Städtchen
gab es viele schöne Mädchen,
und beim Tanz im Schützenhaus
sucht man sich ein Liebchen aus.

Dort ging's immer lustig zu,
Polizei sorgt' stets für Ruh.
Auch "Goldner Löwe" sei genannt,
uns alten Lübenern wohlbekannt.

Ruht man von des Tages Hast,
sucht man einen stillen Platz,
und alle Paare sieht man gehn -
den Schillerpark sich anzusehn!

Im Rosengarten beim Mondenschein
ging manches Pärchen aus und ein,
man suchte die Stille und Freuden -
o Graus, ja gleich hinterm katholischen Gotteshaus!

Familie Tampfel, Lübener Heimatblatt 4/1969



Kampfflieger Georg Treder um 1942

Ursula Moch und ihre beste Freundin und Klassenkameradin Annemarie durften unter Aufsicht von Ursulas Cousine Charlotte zum Tanz! Die hübschen jungen Mädchen verliebten sich bald in zwei Kampfflieger.

Annemarie heiratete ihren Piloten 1940.

Sechsundsechzig Jahre später durfte ich mir ihr Fotoalbum anschauen und las, woran man 1940 glaubte: "Hochzeit im Fliegerhorst Brandenburg im Jahr des Sieges 1940".


Drei Jahre nach ihrer Freundin wird Ursula Moch ebenfalls einen Flieger, allerdings vom Fliegerhorst Lüben, heiraten. Er wird einmal mein Vater werden.

Ursula Moch zur gleichen Zeit
1942 befand sich der Feldwebel/Beobachter der Luftwaffe Georg Treder zwecks weiterer Ausbildung als Kampfflieger auf einem Lehrgang in der Funk-Übungs-Schule des Fliegerhorsts Lüben. In kurzer Zeit verdrehte er Ursula Moch total den Kopf. Sie ihm für eine kurze Zeit wohl auch. Denn anders wäre nicht verständlich, warum er sich innerhalb eines Jahres zum Heiraten entschloss. Was ihn freilich nicht daran hindern sollte, Kriegseinsätze zu nutzen, um dem Blickfeld seiner Gemahlin zu entschwinden und ihr in den chaotischen Nachkriegszeiten die Verantwortung für zwei kleine Kinder allein aufzuhalsen.

Aus Schriftgut der ehemaligen Wehrmacht lässt sich Folgendes über seinen Werdegang rekonstruieren: Georg Treder wurde am 16.02.1915 in Cottbus geboren. 1939 schloss er seine Ausbildung zum Kampfflieger in der "Großen Kampffliegerschule Lechfeld" ab. Er wurde in die am 1. Februar 1940 in Jesau gebildete 9. Staffel der III. Gruppe des Kampfgeschwaders 2 abkommandiert.

Zu diesem Zeitpunkt hatte er als seine Braut Maria Wolf, Cottbus, Hubertstr. 6 angegeben. Als Unteroffizier nahm er 1939 an Einsätzen gegen Polen, im Mai 1940 gegen Frankreich, im August 1940 gegen England teil. Danach absolvierte er einen 2. Beobachtungsschullehrgang in Quedlinburg und den Funker-Lehrgang in Lüben. Für das Jahr 1943 liegen keine Aufzeichnungen vor. Das finde ich seltsam. Wieso gerade für diesen Zeitraum nicht? Es ist das Jahr, in dem er Ursula Moch heiratet, in dem ich gezeugt und geboren werde. Hat er sich dafür ein Jahr freigenommen? Ab Anfang 1944 wird er - ohne konkrete Einheit - wieder als Angehöriger der Luftwaffe geführt. Intelligenz, Risikobereitschaft, Kaltblütigkeit machten Georg Treder zu einem unerschrockenen Kampfflieger.
Zum treusorgenden Ehemann und Vater taugte er nicht.