Lübener Stadtblatt zum 100jährigen Bestehen der Zeitung am 2.1.1943

Mit großer Freude und Dankbarkeit kann ich mitteilen, dass Waldemar Marek mir sein Exemplar des Lübener Stadtblatts vom 2.1.1943 zur Veröffentlichung übergeben hat. Es ist neben einer Kopie von 1892 die einzige originale Lübener Zeitung, die hier ausschnittweise gezeigt werden kann. Großartig, dass immer mehr alte Lübener bereit sind, ihre Schätze mit der Nachwelt zu teilen. Vielen herzlichen Dank!

Auf eine Wiedergabe der fürchterlichen NS-Propaganda, der Beschwörungen bedingungsloser Ergebenheit, der Siegesmeldungen und Heldenauszeichnungen kann verzichtet werden. Die Geschichte hat sie widerlegt. Aber dass gerade diese Ausgabe den beginnenden 100. Jahrgang des Lübener Stadtblatts würdigt, ist ein Glücksfall. Aus der Fülle der Informationen über die Entwicklung der Lübener Zeitung seit 1843 soll hier einiges zusammengefasst werden.

31.12.1843

Begründer des "Stadtblattes" war der damals in Lüben allgemein hochgeachtete ehemalige Lehrer Carl Ende. Der Plan zur Herausgabe eines eigenen Blattes war zu damaliger Zeit ein äußerst schwieriges Unternehmen und es bedurfte großen Selbstvertrauens, um ihn zur Ausführung, zu bringen. Dem Herausgeber fehlte es an den nötigen Mitteln, um die erforderliche, nicht unbedeutende Kaution bei der Regierung hinterlegen zu können. Deshalb mußte er sich darauf beschränken, das Blatt ohne politischen Teil erscheinen zu lassen. Die Politik wurde damals von der Regierung sozusagen an die Zeitung "verkauft". Der Inhalt des damaligen "Stadtblattes" bestand darum lediglich aus Erzählungen, gemeinnützigen Mitteilungen, Anekdoten und Inseraten.

Die Probenummer, gedruckt bei C. Titze in Bunzlau, enthielt nichts über Erscheinungsweise, Bezieher- und Anzeigenpreis. Man muß wohl annehmen, daß Carl Ende zunächst einmal die Bestellungen abwarten wollte. Der Erfolg scheint nicht ausgeblieben zu sein. Die Nr. 1 des "Stadtblattes für Lüben und Steinau" - Wochenschrift für Stadt und Land - wie der Titel damals lautete, brachte die Mitteilung, daß das "Stadtblatt" einmal wöchentlich Sonnabendvormittag erscheine, vierteljährlich 10 Silbergroschen koste, die Gebühr für Anzeigen pro gespaltene Zeile "gewöhnliche Schrift" 1 Sgr. betrage.

Die ersten Nummern des "Stadtblattes" wurden in Bunzlau gedruckt, bis Carl Ende eine allerdings nur dürftig ausgestattete Buchdruckerei selbst einrichtete und ab Nr. 11 das "Stadtblatt" in der eigenen kleinen Druckerei auf einer alten Handpresse herstellen ließ.

Zweispaltiges Titelblatt der Probenummer 0 vom 31.12.1943

Die Nummer 33 brachte erstmalig zwei lokale Notizen aus Lüben und eine aus Steinau. Vom 5. Jahrgange ab (1848) erscheint die Heimatzeitung unter dem Titel "Stadtblatt für Lüben, Steinau und Polkwitz", in derselben Weise und demselben Umfange, bis Carl Ende, nachdem die Verhältnisse günstiger geworden, von Nr. l des 6. Jahrganges ab den Inhalt des "Stadtblattes" um die Rubrik "Politische Zeit- und Tagesereignisse" vermehrte, dem Blatte also einen politischen Anstrich gab. Da jedoch bald darauf von Ende eine Kaution verlangt wurde, er sie aber nicht leisten konnte, mußten die politischen Nachrichten wieder in Wegfall kommen.

1869 und 1876: Neue Besitzer

Am 8. Juli 1869 verstarb Carl Ende, in dessen Händen sich die Leitung des "Stadtblattes" während eines Vierteljahrhunderts befunden hatte. Die Witwe verkaufte daraufhin Buchdruckerei und Zeitung an den Buchhändler Albert Lincke aus Glogau. Die Übernahme durch den neuen Besitzer erfolgte am 1. August des gleichen Jahres. In der Erscheinungsweise und dem Inhalt erfolgte keine Änderung. Die Nr. 16 vom 22. Februar 1873 brachte zum ersten Male wieder eine kurz gefaßte Übersicht politischer, lokaler und provinzieller Nachrichten. Vom 1. Januar 1876 ab erhielt das Blatt seinen endgültigen Titel "Lübener Stadtblatt". Am 18. April des gleichen Jahres wurde es wieder weiterverkauft.

Druckerei und Zeitung erwarb der Liegnitzer Buchdrucker Paul Kühn. Er - Sohn des Steinsetzmeisters Ignatz Kühn in Liegnitz - hatte in der dortigen Pfingstenschen Buchdruckerei sein Handwerk erlernt. Der Kauf wurde damals von dem Kgl. Rechtsanwalt und Notar Röhricht in Gegenwart von zwei Zeugen, dem Postbürodiener Karl Kindler und dem Tuchmacher Robert Schaudienst, abgeschlossen. 21.000 Mark war der Preis für das kleine bescheidene Häuschen mit der dürftig eingerichteten Setzerei und der alten Handpresse, die damals bereits 32 Jahre in Betrieb war und noch wacker ihren Dienst versah!

Am 4. Februar 1878 kaufte Paul Kühn von der Stadtgemeinde den an sein kleines Grundstück angrenzenden alten Spritzenschuppen und baute nach dem Niederreißen des alten Hauses ein neues großes Geschäftshaus. Hinzu kam dann noch die Vergrößerung der maschinellen Einrichtung der Buchdruckerei. Er erwarb eine neue moderne Sigl'sche Schnellpresse, die erste mit Bogenausleger, die damals in Berlin auf der Ausstellung gezeigt wurde und konnte dann auf diese Weise das "Lübener Stadtblatt" dreimal in der Woche, Dienstag, Donnerstag und Sonnabend, herausgeben.

Der Neubau gestattete auch einen weiteren Ausbau der Buchhandlung und des Papiergeschäftes. Um dem steigenden Lesebedürfnis der Bevölkerung der alten Lindenstadt und des Lübener Landes zu genügen, und die sich ständig mehrenden Anzeigen unterzubringen, erschien vom 1. April 1893 ab das "Lübener Stadtblatt" täglich. Auch gehörten allmählich Illustrationen zur Gestaltung der Zeitung.

Der junge Besitzer ging tatkräftig ans Werk. Schon die Nr. 45 vom 3. Juni 1876 zeigte ein modernes Gewand. Anstatt zwei Spalten auf der ersten Seite gab es jetzt deren drei. Auch der Druck und die ganze Anordnung des Satzes zeigten, daß das Blatt sich in den Händen eines Fachmannes befand, der sein Handwerk verstand.

Links die Stadt-Buchdruckerei, rechts der Feuerwehrschuppen

Links Stadt-Buchdruckerei seit 1843, rechts Feuerwehrschuppen

Stadtblattverlag und Druckerei Paul Kühn Lüben

Paul Kühns Neubau 1878

Der letzte Umbau 1930er Jahre

Der letzte Umbau 1930er Jahre

Im Jahre 1902 erfolgte eine weitere Vergrößerung durch den Bau eines zweiten Hauses, in dem ein geräumiger Maschinensaal, ein neuer Setzersaal und noch weitere Geschäftsräume, eine Buchbinderei, ein Papierlager usw. eingerichtet wurden. Dazu kamen dann noch die neuen modernen Druckmaschinen.

Am 8. April 1904 schloß Paul Kühn nach 28 Jahren rastloser Tätigkeit als Verleger in Lüben für immer seine Augen. Seine Gattin, eine Stieftochter des damaligen Brauereibesitzers Joppich, überlebte ihren Mann um 17 Jahre. Paul Kühn und Johanna geb. Joppich hatten am 22. Januar 1877 den Bund fürs Leben geschlossen. Am 22. Januar 1878 genau ein Jahr später wurde ihr Sohn Georg Kühn geboren. Johanna Kühn war ihrem Mann nicht nur eine gute Lebenskameradin, sondern auch eine tüchtige und fleißige Geschäftsfrau, die durch ihre Mitarbeit maßgebend zum Aufstieg der Firma Paul Kühn beigetragen hat.

Werbematerial der Firma Kühn Lüben

Georg Kühn war der rechte Nachfolger seines Vaters. Unter seiner Leitung wurde Zeitung und Druckerei in immer größerem Umfange erweitert und um Vieles bereichert. Neben anderen modernen Maschinen, wie sie für einen mit der Zeit gehenden Betrieb nun einmal unumgänglich notwendig sind, schaffte Georg Kühn im Januar 1906 die erste "Linotype-Setzmaschine" an, die nun den Satz für das "Stadtblatt" herstellte. Bereits zwei Jahre später, im April 1908, kam eine zweite Setzmaschine hinzu und nun "klapperten" zwei eiserne Jünger Gutenbergs den immer umfangreicher werdenden Satz für das "Stadtblatt" sowie für die vielen anderen Massenauflagen zusammen. Mit der Gesundung des Buchdruckgewerbes nach dem (1. Welt-)Krieg konnte das "Stadtblatt" an die weitere Vergrößerung seines Formates denken, das im Februar 1925 auf das sogen. "Berliner Format" umgestellt wurde. Auch an diese neue Aufmachung gewöhnten sich die "Stadtblatt"-Leser sehr schnell. Immer größer wurden die an eine moderne Tageszeitung gestellten Anforderungen, denen das "Stadtblatt" durch eine ständig zunehmende Zahl von Beilagen Rechnung trug. Die stetig steigende Auflage des Blattes wurde zum gleichen Zeitpunkt nicht mehr durch die Post, sondern durch zwei eigene Kraftwagen bis in den entferntesten Winkel des Kreises befördert, so daß der hier wohnende "Stadtblatt"-Leser seine altgewohnte Zeitung zur gleichen Zeit ausgehändigt erhielt wie der in der Kreisstadt.

Georg Kühn starb nach längerer Krankheit am 26. Januar 1934. Seine Frau Helene Kühn und Sohn Hans-Dieter führten das Geschäft weiter. Am Freitag, dem 26. Januar 1945, dem 11. Todestag des letzten Besitzers, erschien die letzte Ausgabe des "Lübener Stadtblatt". Dann mußte auch Frau Kühn mit einem kleinen Handkoffer Haus und Werk der Familie verlassen. Bei den folgenden Kämpfen sollen Druckerei und Verlag völlig ausgebrannt sein. Es gibt jedoch Grund zu der Annahme, dass sich Exemplare der Zeitung heute in polnischen Archiven befinden.


Lübener Stadtblatt am 2.1.1943

Verlag und Schriftleitung gelobten "Führer befiehl, wir folgen dir!", ein Schwur, den man nach dem Verlust der Heimat gern vergessen hat!

Lübener Stadtblatt am 2.1.1943






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