Richard Kassner (1883-1960)
Erinnerungen an Kolonialwarenhändler Willy Kirchner














1909 übernahm Richard Kassner mit 27 Jahren die von seinem Vater 1869 gegründete Bäckerei. Was Richard Kassner und durch ihn Lüben bekannt gemacht hat, waren seine originellen Ideen der Vermarktung seiner Produkte. Er sandte seine Kuchen an die Prominenten seiner Zeit, Politiker, Künstler, Schriftsteller und veröffentlichte dann deren Dankschreiben.

Richard Kassner Lüben - Reklame

Bäckermeister Richard Kassners Warenzeichen war Rübezahl, der dem Betrachter einen Mohnstollen entgegenträgt.
Darunter prangte ein Kuchenstern mit dem von einer Brezelkette umschlungenen Globus.

Handschriftlicher Spruch von Richard Kassner "Was das Leben mir beschieden,
Es war gut, ich bin's zufrieden.
Könnt ich eines noch erwerben,
Nur daheim - daheim zu sterben.
Nicht auf fernen Wanderwegen
Möcht ich mich zur Ruhe legen,
Nirgends auf der ganzen Erde,
Als daheim, am eignen Herde."

Richard Kassner
(So schrieb Richard Kassner
1954 an Ernst Peschel)

Die Lübener Dichterin Zoe Droysen schrieb nach Richard Kassners Tod am 17. Januar 1960:

"Wir pflegten stets Pfingsten in unserem alten Lübener Haus und Garten in der Liegnitzer Straße zu verleben. Kamen wir am Pfingstsonnabend im Städtel an, war einer der ersten Gänge über die Liegnitzer Straße hinüber in die Kassnersche Bäckerei. Dort wartete neben herzlicher Begrüßung schon der bestellte Streuselkuchen auf uns. Ihn dann heimzutragen, durch den von den überreich blühenden Fliederhecken und Gebüschen durchdufteten Garten, war der Auftakt für die Feiertage! Und wie großartig schmeckte dieser Festkuchen! Denn Richard Kassner war, es braucht eigentlich hier nicht betont zu werden, ein Künstler in seinem Fach, der viel Anerkennung auch außerhalb unseres Städtels gefunden hat.
Er pflegte nämlich an berühmte Persönlichkeiten seine leckeren Erzeugnisse zu festlichen Gelegenheiten zu schicken, dort wurden sie gern abgenommen. So antwortete ihm einmal Gerhart Hauptmann:

Richard Kassner

Der Mohn in meines Vaters Haus
war höchsten Festes Krönung,
o selige Gewöhnung!
Ich war ein Kind, und das ist aus.
Mohn bringt den Schlaf, doch auch das Wachen,
als Kinder bracht' er uns das Lachen!
So war's mit dem, den du gesandt,
Aus dem geliebten Schlesierland.
Ihr getreuer Gerhart Hauptmann

Fritz Engel (Redakteur, Berliner Tageblatt) reimte für den "Kuchen-Kassner" :

Sei's im Norden, Westen, Osten,
wo sie nur vom Besten kosten,
alle feinen Schlecker wissen
Dank für solche Leckerbissen.
Unter alten Säuselbuchen,
ha, wie schmeckt der Streuselkuchen.
Und selbst im Eunuchenhäusel
schwärmt man nur für Kuchenstreusel.
Ja, noch in Kastalien suchen
viele nach Cecilienkuchen.
Ebenso den ollen Cohn
lüstet es nach Stollenmohn
und für die Makronentort'
gibt er gern Millionen fort.
Dieses Reimspiel weiht Herrn Kassner
- Mund voll Kuchen - der Verfasser.

Paul Lincke nannte ihn den "Kuchenimperator für Schlesien" und erklärte:

Die Makronen möchte ich vertonen.
Die Sandtorte -
Mensch, haste Worte?

Es wären noch viele berühmte Künstler anzuführen, wie Richard Strauß, den eine Makronentorte "freudig überraschte", Franz Lehár, Paul Keller, Hans-Christoph Kaergel, Paul Barsch, Christoph Rößler. Zu seinem 70. Geburtstag gratulierten ihm u. a. die Witwe von Gerhart Hauptmann und der ehemalige Reichstagspräsident Paul Löbe. Unser Heimatfreund hat eine umfangreiche Autographensammlung zusammenstellen und diese von daheim mitnehmen und retten können.

Und wie kam er dazu, einen seiner Kuchen Cecilien-Kuchen zu nennen? Er hatte der Kronprinzessin zum Geburtstag einen nach einem neuen Rezept gebackenen Kuchen geschickt - und sie fand ihn würdig, diesem ihren Namen zu geben. Selbst nach 1945 bedankte sie sich für eine Weihnachtsüberraschung von Richard Kassner: "Ich bin so erfreut über das Warmbrunner Teegebäck, das mich an den schönen Bienenkorb erinnert. Mit wärmsten Grüßen Cecilie."

Meine letzte Erinnerung an ihn führt in die Tage der Flucht, 1945. Die Russen waren schon auf der Steinauer Seite im Städtel. Wir wußten, was bevorstand. Da ging ich eines Abends in die Bäckerei hinüber, dort traf ich Herrn Kassner in der Backstube an, seine Frau war nicht daheim. Wie behaglich war's doch hier: Hell, gut durchheizt, was damals besonders schätzenswert war. Auf dem Tisch stand eine Flasche Wein, aus der Herr Kassner sich hin und wieder stärkte, während er eifrig Brotlaibe formte, die zum nächsten Morgen gebacken werden sollten. Um unsere Füße schnurrte die Katze. Lange hielt ich mich nicht auf, sondern wanderte bald ins alte Haus zurück, ermutigt durch die Zuversicht meines Nachbarn.

Richard und Ella Kassner mit einem Enkelkind um 1940

Richard und Ella Kassner mit einem Enkelkind um 1940.
Mit einem herzlichen Dank an seine Enkelin Annerose Iken in Portugal!

Als ich dann andern Tags früh nach Brot ging, fand ich das Haus leer. Nur ein junger Soldat stand unter der Tür - die Familie Kassner war noch in der Nacht fort, bei etwa 30 Grad Frost und starkem Schneefall! Auch sie hatten sich in den großen Strom der Flüchtenden eingereiht. - Erst nach Wochen bekam ich Nachricht, als ich selbst schon in Erlangen gelandet war. Seither sind wir in ständigem Briefverkehr geblieben, denn diese Freundschaft war mir ein Stück Heimat. Sein weiterer Wanderweg mit den Seinen war oft sehr hart, viele Jahre lebte er in Sachsen und selbst, als es oft am nötigsten fehlte, verlor er nicht den Mut. Er blieb bescheiden und lebte in ruhigen Stunden in Gedanken in der Heimat, in seinem Städtel, in seinem Haus und seinem Betrieb. Er dachte an jene Zeiten, da seine Backwaren Künstler von Weltruf erreichten und dort Beachtung fanden.

Im Dezember 1959 zog er mit seiner getreuen Lebensgefährtin zu seiner ältesten Tochter. Nun schläft Richard Kassner in fremder Erde, wie bereits viele der Lübener. Doch er wird nicht nur für mich, sondern für alle, die ihn kannten und schätzten, nicht aus unserer lieben Stadt fortzudenken sein, sondern das Bild auf gute Weise ergänzen, das wir von ihr bewahren." Zoe Droysen, 1960


Andere Kassner aus Lüben:
Chemiker und Pharmazeut Georg Max Julius Kassner (1858-1929),
Untersuchungsrichter und Gefängnisvorsteher Amtsgerichtsrat Kaßner, als Mitbegründer des MTV Lüben
Minna Maiwald geb. Kaßner mit Sohn Siegfried