Alt-Raudten - frühgeschichtliche Funde. Von Dr. Martin Treblin, 1942
Gemeinde Alt Raudten














Alt-Raudten - ein frühgeschichtlicher Mittelpunkt der Lübener Landschaft
von Dr. Martin Treblin in Lübener Heimatkalender 1942

Zu den anmutigsten und sehenswertesten Stätten unseres Kreises gehören die hochgelegenen alten Dorfkirchen von Alt-Raudten, Eisemost, Groß Rinnersdorf und Altstadt. Ihre Lage erinnert an die alten Wehrkirchen, und wahrscheinlich sind ihre Anhöhen schon seit ältester Zeit bedeutsame Verteidigungs- und Kultstätten gewesen. Besonders fällt einem die Ähnlichkeit der Lage und geschichtlichen Vergangenheit vom Altstädter Kirchberge und vom Wein- oder Kirchberg von Alt-Raudten auf. Beide knüpfen an natürliche Bodenschwellen an, sind aber durch des Menschen Hand erweitert und befestigt worden. Vor dem Altstädter Berge lagen im Süden früher schwer überschreitbare Bruchauen, und der Weinberg in Alt-Raudten ist noch heute von drei Seiten von Bächen umzogen, die durch feuchte Wiesen, frühere Sumpfgebiete, fließen. Nur auf der Südostseite war ein stärkerer künstlicher Schutz notwendig, und auf ihr konnte man früher deutlich einen breiten Wallgraben erblicken. Als man hier 1899 einen neuen Weg anlegte, stieß man am Dominial-garten auf einen menschlichen Schädel und ein altertümliches Messer. Frühgeschichtliche Gefäßteile sollen auf des Weinberges Höhe ausgegraben worden sein.

Wenn Wall und Fundstücke die Wehrhaftigkeit des Kirchberges in Alt-Raudten bezeugen, so beweisen die zahlreichen frühgeschichtlichen Scherbenfunde an der West- und Südwestflanke des Altstädter Berges, auch ein paar Scherben und Lehmbewurfstücke auf seinem Gipfel selber, daß die Erhebung in der Frühzeit eine Rolle spielte, ja, es ist nicht unmöglich, daß sie die Kastellanei Lubin trug. In einer alten Handschrift des Doktors Mahiae (Matthiae?) (Altstädter Kirchen- und Pfarrsachen, Volumen 111) heißt es: "Zu Altstadt ist ein Hügel, worauf die Kirche steht; allda sind auch Zusammenkünfte geschehen und Reliquien von Scherben gefunden worden, daher das Dorf Loben oder Lobyn genannt worden, von Loben und Verehrung der Götter". Abgesehen von der kindlichen Ortsnamensdeutung erscheint die Angabe über die Auffindung von Scherbenfunden bemerkenswert: "Nach einer handschriftlichen Chronik von B. Heinrich in Lüben sollen auf dem Altstädter Kirchberg am Anfang des 19. Jahrhunderts Götzensteine gefunden worden sein."

Frühgeschichtlicher Eisenbarrenfund

Es ist auch durchaus denkbar, daß diese Höhen noch in christlicher Zeit Stätten heidnischer Verehrung waren und daß man gerade deswegen auf ihnen Kirchen errichtete. Sehr alt sind die Gotteshäuser beider Orte. Der Sage nach sollen sie sich unter den 70 Kirchen befunden haben, die der sagenumwobene Ritter Peter Wlast um 1100 zur Sühne für begangenen Frevel aufführen ließ. Viele kleine Dörflein gehörten zu ihren Kirchspielen. Zum Alt-Raudtener zählen noch heute Brodelwitz, Jauschwitz, Klieschau, Thielau, halb Thiemendorf und Wandritsch. Ehedem aber, bevor die Kirchen in Mlitsch, Thiemendorf und in der Stadt Raudten gestiftet wurden, dehnte sich der Alt-Raudtener Sprengel bis in Lübens Nähe aus (erst 1874 kam Talbendorf zu Mlitsch), und die Stadt Raudten, die im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts auf grünem Rasen angelegt ward, übernahm ihren ganzen kirchlichen Bereich aus dem Alt-Raudtener Bezirk. Beide Orte waren sicherlich auch Marktplätze. In einer Beschreibung des vorgefundenen Landes aus der Gründungszeit des Leubuser Klosters heißt es: "Es gab keine Städte im Lande, sondern neben der Burg lag der Markt, die Kirche und die Schenke." So wird es auch in Lubin und in Rudna (Alt-Raudten) ausgesehen haben.

Wie Lubin-Altstadt dann am Ausgang des 13. Jahrhunderts seine Bedeutung einbüßte und hinter dem neuen deutschen Gemeinwesen zurücktreten mußte, so ist es auch Rudna-Alt-Raudten ergangen, als in seiner Nachbarschaft eine deutsche Stadt erwuchs. Beide alten Kirch-, Burg- und Marktorte standen bei den neuen Städten Pate. Lubin trat seinen Namen ganz an die Stadt Lüben ab und empfing von ihr den ehrenden Namen Alte Stadt: Altstadt; die städtische Siedlung aber neben Rudna hieß anfangs Neu-Raudten, dann schlechthin Raudten, während die ältere Nachbarin zur Unterscheidung nunmehr Alt-Raudten benannt ward.

Im Polnischen bedeutet Rudna = Erz. Alt-Raudten leitet seinen Namen von einer alten Eisenschmelze her, die wohl auf dem Weinberge stand. Überall findet man ja in seiner Umgebung Raseneisenerz. Eisenschlacken, Eisenkuchen, Eisenbarren sowie Reste alter Eisenöfen wurden immer wieder in Alt-Raudtens Umgebung entdeckt: 1.400 m ostsüdöstlich der Kirche stieß Landwirt Richard Hoffmann beim Kiesgraben auf mittelalterliche Gefäßteile, zwei kleine dreieckige Ofenkacheln, auf einen Eisenbarren und ein Stück Bronzeblech, also wohl Überbleibsel einer Schmelzstätte. Und Oberförster Rudolf Wirth (Lüben) las etwas weiter nördlich dieser Fundstelle am Waldesrande von einem Steinhaufen anscheinend eine an der Spitze abgebrochene eiserne Rodehacke mit Schaftloch auf, die sich aber nach den Untersuchungen des Landesamtes in Breslau als ein Eisenbarren entpuppte. Er dürfte aus dem frühen Mittelalter stammen. Wie mir Rittergutsbesitzer v. Schweinitz erzählte, wurden am Südabhange des Schloßberges (etwa 630 m ostsüdöstlich vom Schosse) viele Eisenschlacken und rot verfärbte Erde herausgepflügt, offenbar Überbleibsel einer Eisenschmelzstätte. Kürzlich lieferte Lehrer Ernst Schroeckh aus der an Eisenschmelzöfen reichen Flur von Barschau dem Breslauer Landesamt eine durchlochte Eisenkugel ein, die man nordöstlich vom "Grünen Krug" aufgelesen hatte; auch dies ist, nach Auskunft des Landesamtes, als Eisenbarren anzusprechen. Anzeichen von alten Eisenschmelzen in Form von Eisenschlacken kamen auf dem Venusberge in Jauschwitz, in Form von Düsen und Schlacken in Ober-Töschwitz, an der Panstermühle und östlich vom Bahnhof in Groß Rinnersdorf, auch am Gut und südlich der Höllmühle in Mlitsch zu Tage. Vom Rabenberge in Pilgramsdorf ließ sich Inspektor Wessig eine ansehnliche Eisenschlacke mitbringen und in seinem Garten aufbauen.

Steinhacke

Im Oktober des Jahres 1907 stieß man an der Kunststraße von Groß Gaffron nach Raudten, rechter Hand, etwa 300 m südwestlich vom Gut Groß Gaffron, auf eine Grube. Unter schwarz verfärbtem Sand entdeckte man 30 Stück gebrannte Lehmwirtel, faustgroß (wohl Spinngewichte oder Netzsenker), weiter einen Spinnwirtel und einzelne Scherben; und 25 cm tiefer legte man noch vier Wirtel und Scherben bloß. Südwestlich, nahe dieser Fundstelle, auch rechts von der Kunststraße, konnte man dann im folgenden Jahr einen Schmelzofen ausgraben. Da die Scherben der ersten Fundstelle als früheisenzeitlich (800 bis 500 v. Chr.) bestimmt wurden, kann man mit Sicherheit annehmen, daß auch der Ofen aus dieser frühen Zeit stammt. Zeitlich sind sonst die Überreste von Schmelzöfen, beim Fehlen anderer Kennzeichen, äußerst schwer dem Alter nach bestimmbar, da Eisenschmelzöfen von der frühen Eisenzeit bis in die Neuzeit hinein vorkommen. Doch bezeugt ja der alte Name von Alt-Raudten, Rudna, daß hier mindestens in frühgeschichtlicher Zeit das Raseneisenerz ausgeschmolzen ward. Aus dieser Zeit sind auf uns 300 m südwestlich der Alt-Raudtener Kirche, westlich vom Wege nach Jauschwitz, 23 slawische Reihengräber gekommen. Bei der Verlegung der Bahnstrecke Raudten - Breslau wurden sie im Juni 1912 vom Dampfbagger zum größten Teil zerrissen, 8 von ihnen konnte aber der Pfleger des Landesamtes Ullrich sachgemäß aufdecken. Die Gebeine lagen alle im gleichen Abstand, einen Meter voneinander entfernt, sämtlich mit dem Gesicht nach Osten. Alle Skelette waren klein. Bei einem befand sich ein mit Wellenlinien verzierter Topf, bei einem anderen Stücke eines Messers, ein dritter besaß einen kleinen silbernen Schläfenring. Aber Alt-Raudten ist in seiner Anlage Hunderte von Jahren älter als diese kulturarme Zeit, das bezeugen eindeutig die reichen vorgeschichtlichen Bodenurkunden.

Beim Anlegen einer Kartoffelgrube fand Mittelschullehrer Erich Schmädicke in 40 cm Tiefe auf dem Grundstück des verstorbenen Kaufmanns Köpke, südöstlich der Kirche, eine seltene breitschneidige Steinhacke der jüngeren Steinzeit (4000 - 2000 v. Chr.). Das Werkzeug ist 9,2 cm lang, 6,3 cm breit und 3,2 cm stark. Am Kopf trägt es eine kleine Einbuchtung, die von einem früheren Schaftloch herrührt. Die Hacke war also ursprünglich größer, sie zerbrach dann an der Durchbohrung und wurde nunmehr zum zweiten Mal mit Schaftloch versehen und weiter benutzt (Abbildung 3). Nach den Forschungen des verdienten Ehrenbürgers von Raudten, des Pastors Hermann Söhnel, liegt an der Straße von Alt-Raudten nach Raudten rechter Hand, nahe der Brodelwitzer Flur, ein Urnenfeld der mittleren Bronzezeit (1400 - 1200 v. Chr.). Dort kamen Buckelurnen zum Vorschein. Im Leichenbrand der Totenurnen fand man unter anderem ein Armband, eine Nadel und einen Drahtring aus Bronze. Der Fundort lag bisher nicht genau fest, meine Vermutung, daß er bei der Höhe 125,4 zu suchen sei (etwa 1.170 m nordwestlich der Alt-Raudtener Kirche), erwies sich als zutreffend, denn um diese Höhe konnte ich bronzezeitliche Scherben auflesen und dem Landesamt zur Untersuchung einsenden.

Unweit dieser Fundstelle, im Norden von Alt-Raudten, ebenfalls nicht fern der Gemarkung von Brodelwitz, über der abgerissenen Eichmühe, auf dem Eichmühlberge (auch Eichgarten genannt), stieß man auf eine Urne mit Falzdeckel. Dieser ist uns erhalten: er ist mit 8 aufgesetzten Strahlen verziert, von denen immer je zwei nebeneinander vom Mittelpunkt aus radial verlaufen. Da ich an der Fundstelle trotz eifrigsten Absuchens nur noch zwei Scherben von bronzezeitlichem Aussehen antraf, ist anzunehmen, daß es sich um ein Einzelgrab handelt, das man hier auf dieser weithin sichtbaren Höhe stimmungsvoll anlegte. Es gehört zu den im Kreis ganz selten auftretenden frühgermanischen Funden, rührt also von einem Bastarnen oder Skiren her, die zwischen 550 - 300 v. Chr. in Schlesien ansässig waren. In ähnlicher bedeutsamer Lage, auf weithin beherrschender Höhe, hat man auch im nahen Mlitsch, am Wege von Mlitsch nach Koslitz, zur Rechten, auf den "Kanten", nahe der Koslitzer Grenze, ein frühgermanisches Urnengrab mit verschiedenen eisernen Beigaben aufgedeckt.

Urnen-Falzdeckel

Noch an einer dritten Stelle der Alt-Raudtener Gemarkung konnte man Urnenfunde feststellen. Beim Bahnbau im Jahre 1873 durchstieß der tiefe Bahneinschnitt, nordöstlich vom Dorfe, dort, wo der Weg nach Thielau die Bahn überschreitet, ein Urnenfeld. Zahlreiche Urnen wurden ausgegraben, sie sind uns aber nicht überliefert worden, so daß wir nichts Näheres über ihr Alter aussagen können. Daß es sich aber tatsächlich um ein altes Gräberfeld gehandelt hat, konnte ich anhand zahlreicher verwitterter Scherben beweisen, die ich westlich der heute aufgegebenen Bahnstrecke, südlich von dem noch vorhandenen Bahnwärterhaus, am Thielauer Übergang, auf dem sandigen Abhänge auflas.

Endlich fand noch Dr. W. John (jetzt in Haynau) in der Nähe der südlichen Flurgrenze, 180 m westlich der Höhe 162,9 m, eine gerauhte Scherbe eines Vorratsgefäßes von bronzezeitlichem Aussehen.

Über zwei Rundwälle im Osten des Gutes läßt sich heute nicht mehr viel ermitteln: der eine, der - 750 m südöstlich vom Schlosse - in einer feuchten Senke am Bahndamm gelegen haben soll, wurde beim Bau der Bahn völlig geschleift, an ihn erinnert vielleicht noch der Flurname "Schloßberg", wie das nördlich von ihm ansteigende Gelände heißt. Der zweite, näher am Schlosse liegende (460 m südöstlich von ihm), der im Volksmunde "Schloßberg" heißt, ist nur noch an seinen Fundamenten zu erkennen, danach war er sehr unansehnlich, im Durchmesser nur 18 Schritt breit. Nach Pastor Söhnel soll man in seinem Inneren slawische Scherben ausgegraben haben. So sehen wir, wie ungewöhnlich reich Alt-Raudtens Flur an vor- und frühgeschichtlichen Bodenfunden ist, und der Bauer, der hier aufmerksam den Pflug durch den Boden führt, kann noch manche erfreuliche Entdeckung machen.

Dr. Martin Treblin, Heimatkalender des Kreises Lüben 1942

Benutzte Schriften: Hermann Söhnel, Beiträge zur Geschichte der evgl. Stadtpfarrkirche in Raudten, Kr. Steinau, Heft l, Liegnitz 1905, und "Das Evangelium im Kirchenkreis Steinau", Festschrift 1931. Außerdem erfreute ich mich der freundlichen Unterstützung von Kantor und Lehrer Klemt in Alt-Raudten. Die Photos stellte das Landesamt für Vorgeschichte in Breslau liebenswürdigerweise zur Verfügung.