Die Queißener Windmühle
Gemeinde Queißen














Die Queißener Windmühle

Im Büro der Stadtmühle Steinau a. O. ist bei der Flucht ein wertvolles Bild hängengeblieben. Es ging alles zu schnell. Als die Stadt unter Beschuß geriet und die Familie Hals über Kopf flüchten musste, soll der ganze große Komplex in Flammen aufgegangen sein. Das Lebenswerk der Gebrüder Fellgiebel, in dreißig Jahren aufgebaut, wurde in wenigen Stunden vernichtet.

Ja, richtig, das Bild... Rechts neben dem Geldschrank hing es, damals nicht übermäßig beachtet, heute ein unersetzlicher Verlust. Es zeigte eine Windmühle, nicht irgendeine: es war die väterliche, die einst auf dem Queißener Windmühlberg stand, weithin sichtbar, besonders schön vom Bahnhof Raudten-Queißen zu erblicken. Viele Reisende, die dort umsteigen oder warten mußten, werden das Bild noch vor Augen haben: Geradeaus die ersten Häuser des Dorfes Queißen, links oben die Windmühle. Uns war sie besonders lieb, wir kannten sie ja innen und außen genau.

Großvater Ernst Fellgiebel (geb. 20. 3. 1837 in Töschwitz) erwarb sie 1875, nachdem er seine Windmühle in Rostersdorf an Müllermeister Obst verkauft hatte. Es war ihm von dort aus zu weit bis Steinau und Lüben. Der Weg war schlecht, sandig und bergig. Nachts 2 Uhr fuhr er schon weg mit Mehl, ein Pferd vor dem Bretterwagen! Und wann kam er da erst zurück!

Die Queißener Windmühle

Die Queißener Windmühle
Kaum zu erkennen auf dem verwaschenen alten Foto. Aber mit wieviel Herzblut wurde das Bild von Generation zu Generation weitergegeben!

Die Queißener Windmühle soll ein gewisser Franz Brauer erbaut haben. Es war eine Bock-Windmühle mit vier hölzernen Flügeln. Die ganze Mühle war drehbar.

Jeder Junge, der aus der Schule kam, lernte auf Vaters Mühle "die weiße Kunst", das edle Müllerhandwerk. Man konnte vom Hofe aus die Mühle gut beobachten. Ließ etwa Gustav, der Älteste, die Mühle "leer laufen", d. h. hatte er die Flügel nicht in den Wind gedreht, so rannte er aber, was er konnte, auf die Mühle. Dort spielte sein Lehrling seelenruhig die Ziehharmonika, hörte den Vater so wenig kommen, wie er auf die Mühle achtete, kriegte eine rechts, eine links hinter die Ohren, und die Ziehharmonika mußte von der Mühle verschwinden. Lehrjahre sind eben keine Herrenjahre. Und ein Müller soll mahlen und nicht quinquilieren.

So lernten nach Gustav auch die Zwillinge Hermann und Heinrich, die späteren Besitzer der Stadtmühle Steinau, ebenso Paul und Albert ihre zwei Jahre auf Vaters Windmühle, das dritte bei einem bekannten Wassermüller. Hatten sie ausgelernt, konnten sie "in die Fremde gehen", das Ränzel auf dem Rücken, das ihnen die Mutter gemacht hatte. "Das muß ein schlechter Müller sein, dem niemals fiel das Wandern ein!" Alle wanderten nach Sachsen und arbeiteten in großen Mühlen, um sich genügend Kenntnisse für die Meisterprüfung zu erwerben. Es ging auch alles gut. Nur der Jüngste, der Albert, soll ich noch weiter aus der Familien-Geschichte plaudern?

Na gutt! Albert war ängstlich. Als er 1900 dran war, auf Wanderschaft zu gehen, wurde ihm das Herz so schwer. In den großen Wäldern um Carolath, hu, da röhrten die Hirsche so schrecklich zur Brunstzeit, daß er schleunigst umkehrte. Früh um vier Uhr klopfte er an das Backstubenfenster der Niedermühle in Gramschütz. Seine Schwester hatte 1899 den Bäcker- und Müllermeister Carl Hoffmann geheiratet. Sie wurden bald danach meine Eltern. Die gute Schwester gab ihm neue Wäsche, der Schwager das Reisegeld bis Leipzig. Nach dem nahen Queißen wollte er nicht mehr zurück. Von dort aus wanderte er frohgemut zu seinen Brüdern, die ihm bald auch in der Nähe von Leipzig eine gute Stelle besorgten. Ende gut, alles gut. Er ist später wohlhabend in Pasewalk gestorben.

Noch eins "aus der alten, guten Kiste": Wenn der Wind ganz stark ging, schaukelte die ganze Mühle und machte eine Musik, die ich nie genug hören konnte. Hatte ich Essen hingetragen, saß ich manchmal noch lange unter der Mühle. Die Brüder aber dachten, ich wäre schon längst wieder daheim. Eines Abends nahm ich den "Putz" mit. (Welcher Dorfköter hieß in Schlesien nicht Putz?!) Ich hatte ihn an den Korb gebunden, in dem ich Brot und Suppe trug. Da trat ich unversehens in ein Wegeloch, fiel hin und verschüttete alles. Putz leckte die Suppe auf, und ich holte während-dessen schnell neue daheim. Als ich dann etwas später als sonst zur Mühle kam, fragte der Bruder ungeduldig: "Wo warst du denn solange? Putz ist schon lange hier." Ich habe diesen Abend keine Suppe gekriegt; erst kam der Müller dran.

Die Mühle ging überhaupt in allen Dingen vor. Jeder Wind wurde ausgenutzt. Am Teich vor dem Hof standen drei hohe Pappeln. Daran erkannte der Großvater genau, woher der Wind kam und wie stark er war. Er hatte eine große Liebe zu seinem Handwerk, war mit Leib und Seele Müller, wie man sagt. Wie manche Nacht hat er durchgemahlen und früh dann gleich zu Sprotte das Mehl und zu Scharte den Kälberschrot gefahren! Und auch seine Söhne sind alle tüchtige Menschen geworden. Der Älteste brachte es bis zum Mühlenbau-Ingenieur und besaß eine über Schlesien hinaus bekannte Maschinen-Fabrik und Mühlenbauanstalt in Hermsdorf/Kynast. Nachdem die väterliche Windmühle 1914 an Herrn Löchel verkauft worden war, übernahmen die Zwillingsbrüder die Stadtmühle Steinau/Oder und brachten sie durch Fleiß und Geschäftstüchtigkeit auf einen beachtlichen Stand. Der sie weiterführen sollte, mein Vetter Erich, blieb bei Stalingrad. Paul betrieb, neben der Väterei gelegen, eine gutgehende Zementwaren-Fabrik, und der Jüngste wurde in Pasewalk Besitzer eines Getreide- und Futtermittel-Geschäfts.

Neben der Mühle wurde eine Landwirtschaft von 17 Morgen Acker und 18 Morgen Pachtland (Pfarracker) betrieben. "Unser Vater trug gern die Ackerpacht zum Pfarrer. Wenn sie sich im Felde trafen, setzten sich beide auf ein Bänkel am Pfarrgarten, und der Vater mußte von seinen Söhnen in Sachsen und von seiner Mühle erzählen. Läutete die Abendglocke, nahmen beide die Mütze ab und beteten, bis das Läuten aufhörte. Der katholische Pfarrer und der evangelische Müller-Bauer. Ach, auch ich ging gern zum Pfarrhaus. Die Schwester vom Herrn Pfarrer nannte mich immer .Müller-Liese und gab mir eine Zuckerschnecke. Das tat sie bei anderen nicht." So genau erinnert sich noch das kleine Mädel von damals, unsere Sippenälteste von heute, die liebe Tante Ida.

In Queißen waren wir oft und gern zu den Sommerferien. Als Kleine kriegten wir abends regelmäßig Heimweh und heulten wie die Schloßhunde. Im Stall waren wir beim Füttern im Wege; in der Küche machte aber Großmutter kein Licht. Während des Abendessen-Zubereitens begnügte sie sich sparsamerweise und aus Gewohnheit mit dem Feuerschein, der aus dem Küchenherd fiel. Und dabei wurde uns unheimlich zumute. Daheim brannte jetzt längst die Petroleumlampe, und alle saßen traulich darum, und die Ladentür-Glocke bimmelte. Ach, und hier war alles so anders! Unheimlich! Nur mit viel Liebe und großen Versprechungen konnten wir abgelenkt werden, bis der Schlaf wohltätig allen Schmerz heilte. Schien dann frühmorgens wieder die Sonne und durften wir abwechselnd auf dem lieben, geduldigen Rappen ins Feld reiten, dann war die Welt wieder rund und schön. Nur die Getreide-Stoppeln machten uns großen Kummer. Ich konnte und konnte nicht darauf laufen, und die Filzpantoffeln mußten mit Band ganz fest gebunden werden, ehe ich es wieder wagte. Kam ein schneller sommerlicher Regenschauer, flüchtete alles unter die Mühle, wie wir auch in ihrem Schatten das Vesperbrot aßen. Sie war wie eine Glucke, die schützend ihre Flügel breitete. Auf dem hohen Fuder fuhren wir dann froh bis vor die Scheune mit und ließen uns dort vertrauensvoll in Onkels Arme heruntergleiten. Ein "Putz" zum Spielen war auch immer da, immer wieder ein neuer. Der Teich, der Graben boten Abwechslung. Ein ideales Ferienparadies!

An Sturm- und Regentagen, wenn die Feldarbeit ruhte, gingen wir mit auf die Windmühle. Das Sausen der großen Flügel, das Rattern der Räder, das Scheuern von Holz auf Holz, das Klappern des Mahl- und Schrotgangs und das ständige Vibrieren der ganzen Mühle habe ich noch deutlich in Ohren und Beinen und den Geruch des Mehlstaubes in der Nase. Gleich links von der Tür, die man über eine ziemlich steile Treppe an der windabgewandten Seite erreichte, führte eine noch schmalere Tür im Innern der Mühle in einen Verschlag, der mit einer Bettstelle, einem Stuhl und einem arg verstaubten Wecker als Schlafstelle für den Nachtdienst eingerichtet war. Bei entsprechender Stellung der Mühle, die ja immer in den Wind gedreht werden mußte, konnte ich Hochkirch über den Wäldern liegen sehen. Wenn bei Sturm und Regen das Herz vor Heimweh krank war, dachte ich so manches Mal: Ach, wenn doch am Hochkircher Kirchturm ein großer Spiegel wäre! Dann könnte es doch sein, daß sich die Gramschützer Kirchtürme darin spiegelten! Dort bist du ja zu Hause!

Wie groß müßte der Spiegel sein, der uns allen die verlorene ferne Heimat abspiegeln könnte! Laß gut sein: Du trägst einen feinen, kleinen Spiegel in dir, deine Seele, die alle Bilder der Heimat viel getreuer aufgenommen hat, als die empfindlichste fotografische Platte es je könnte! Du mußt die vertrauten Bilder nur immer wieder "entwickeln", sie immer wieder aufsteigen lassen in dein Bewußtsein! Sie ruhen in dir unvergänglich, ja sie sind ein Teil deiner Lebenskraft. Sie wollen immer wieder Farbe gewinnen in Gesprächen mit deinen Kindern und unter Landsleuten. Laß sie nie verblassen oder versinken!

Oskar Hoffmann (1900-1975), in LHB 18/1969

Aufzeichnungen von Oskar Hoffmann über die Geschichte der evangelischen Kirche zu Klein-Gaffron
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